«Der erste Schreibworkshop in Beirut war wie eine Therapie für Kriegstraumas», erinnert sich Mudar Alhaggi. Erik Altorfer sitzt neben ihm und ergänzt: «Was wir über Syrien wissen, das wissen wir aus den Medien. Dieser medialen Übermacht wollten wir eine andere Perspektive gegenüberstellen: Junge Syrerinnen und Syrer sollten eine Plattform bekommen und selbst zu Akteuren werden.»
Angefangen habe alles im Jahr 2015 in Beirut. Der Theatermann Alhaggi war damals selbst aus Syrien in den Libanon geflüchtet. Das Schreibprojekt «Future Stages» war die erste Zusammenarbeit mit Altorfer. In einem Hotel in den Bergen oberhalb von Beirut habe man sich innerhalb eines Jahres dreimal für je eine Woche getroffen. Die acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer, alle vor dem syrischen Bürgerkrieg geflüchtet, arbeiteten an ihren ersten Theaterstücken. Die Texte seien stark von den Erlebnissen des Krieges geprägt gewesen: «Viel Leid, viel Trauer, viel Unverarbeitetes», erzählt Alhaggi. Dennoch sei es ihnen gelungen, über die Texte und nicht direkt über das Erlebte zu sprechen. Diese professionelle Distanz sei wichtig: «Nicht sentimental werden. Keine Tränen», meint Alhaggi. Und Altorfer erinnert sich auch an das Potenzial der gemeinsamen Schreibarbeit: Während sich die jungen Autorinnen und Autoren der Realität des Krieges hilflos ausgeliefert fühlten, erlebten sie ihre Bühnentexte als etwas Formbares, Gestaltbares. Sie hätten mit ihrer Fantasie – so habe es ein junger Autor ausgedrückt – eine neue, eine andere Realität geschaffen.
Ihre Zusammenarbeit setzten die beiden im Juni 2016 am Schauspielhaus Graz fort: In der Schreibwerkstatt «Our Stories» kamen junge Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan mit österreichischen Jugendlichen zusammen. «Wir investieren am Anfang jeweils viel Zeit ins Team Building», erläutert Altorfer. So hätten zu Beginn Spiele und Schreibübungen im Zentrum gestanden, um sich gegenseitig kennenzulernen und das Eis zu brechen. Selbstständig hätten die Jugendliche die Themen formuliert, über die sie schreiben wollten; diese – so zeigte sich – liessen sich unter dem Titel «Ängste und Wünsche» zusammenfassen. Alhaggi meint, dass durch dieses gemeinsam gefundene Thema vermeintliche Unterschiede eingeebnet würden: Spreche etwa ein Flüchtling davon, dass er gerne Polizist werden würde, lernten ihn die österreichischen Jugendlichen über einen konkreten Berufswunsch kennen – fernab von Stereotypen oder Opferrollen. Während eines Monats befanden sich die zwölf Jugendlichen in einem Safe Space. Hier konnten sie sich schreibend ausprobieren.
Recht auf Verdrängung
Erik Altorfer erzählt von einem jungen Afghanen. Dieser habe eine Geschichte geschrieben, die davon handelte, dass er auf seiner Flucht einen Freund gefunden habe. Da die Schreibwerkstatt am Schauspielhaus Graz einen autobiografischen Rahmen gehabt habe, seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass die Geschichte wahr sei. Hinterher habe der junge Mann dies aber verneint und gesagt, dass die Erzählung frei erfunden sei. In einem weiteren Text für einen Blog erklärte er, dass es schlicht zu traurig für ihn sei, über seine Vergangenheit zu schreiben.
Keine Tiere im Zoo
Andrea Zimmermann, die als Projektleiterin an der ZHdK mit geflüchteten Kunstschaffenden in Kontakt steht, treibt die Frage um, wie sich Identitätszuschreibungen vermeiden und Flucht und Migration gleichwohl als gewichtiger Teil der persönlichen Geschichte anerkennen lassen. Alhaggi antwortet kurz auf diese Frage, wenn er sagt: «Vertrauen ist das Wichtigste.» Dieses müsse man sich erarbeiten. Erik Altorfer nennt mit Blick auf die eigenen Erfahrungen zwei Aspekte. Zum einen «wollen immer wieder Leute zur Probe kommen, die es total gut meinen. Dennoch besteht die Gefahr, dass sich die Flüchtlinge beobachtet fühlen, wie Tiere im Zoo.» Vor diesen «awkward situations» gelte es, geflüchtete Menschen zu schützen. Und zum anderen nehme man die Geflüchteten dann ernst, wenn sie Akteure seien, die unter eigenem Namen ihre (oder eine) Geschichte erzählen dürften. Altorfer erwähnt als Negativbeispiel den Workshop «Green light» des Künstlers Olafur Eliasson. Flüchtlinge würden dort unter Anleitung von Aufsichtspersonen grüne Lampen zusammenbasteln. Weder die Idee noch die Materialien kämen dabei von ihnen. Und als Zusammenbauer von Eliassons Lampen seien sie – ob sie wollten oder nicht – namenlos: «Sämtliche Workshop-Teilnehmer sind austauschbar», so Altorfer.
Zimmermann will wissen: «Was kann eine Kunsthochschule tun, um die Zusammenarbeit zwischen Flüchtlingen und lokalen Künstlern zu fördern?» Alhaggi findet, dass jede einzelne Veranstaltung helfe, weil sie Begegnungsmöglichkeiten schaffe. Altorfer ist da etwas fordernder, er meint: «Viele Syrienflüchtlinge sind künstlerisch hervorragend ausgebildet. Man sollte sie als Lehrer anstellen; so hätte man auch unter den Dozierenden einen anderen Blick auf Flüchtlinge, die sich für ein Studium bewerben.»