Ein Text von Bruno Heller
Sarah Wirth hat bereits ein bereits Erfahrungswissen im Ausstellungsbereich. Im Anschluss an den Master Art Education Curatorial Studies (ehemals «ausstellen & vermitteln») absolvierte sie zwei Praktika – zunächst im Museum für Gestaltung Zürich und danach im Museum.BL (Museum Baselland). Es folgte ein längeres Volontariat im Vitra Design Museum in Weil am Rhein, wo sie die Ausstellung «Alexander Girard. A Designer’s Universe» unter der kuratorischen Leitung von Jochen Eisenbrand begleitete. Sie stellt fest, «um im Berufsfeld Museum Fuss zu fassen, ist es wichtig dran zu bleiben und geduldig zu sein. Für mich ist Kuratieren auch ein Handwerk, das ich im Studium und den verschiedenen Ausstellungsinstitutionen erlernt habe. Dieses Wissen kann ich nun anwenden». Seit 2017 ist sie als Verantwortliche für Bildung und Vermittlung und als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit kuratorischer Verantwortung im Vögele Kultur Zentrum tätig. In dieser Funktion entstand auch ihre Ausstellung über das Gesicht.
«Faszination Gesicht» wurde inspiriert von der Ausstellung «Das Gesicht. Eine Spurensuche» des Deutschen Hygiene-Museum in Dresden [1]. Die Ausstellungsinhalte wurden in Dresden von der Literatur- und Kunstwissenschaftlerin Sigrid Weigel erarbeitet und formuliert. Für das Vögele Kultur Zentrum durfte Sarah Wirth entscheiden, welche Exponate sie übernimmt, da sich bspw. das Thema Gesichtserkennung ständig weiterentwickelt, mussten Inhalte aktualisiert werden. Besonders spannend sei es gewesen eigene Inhalte mit Bezug zur Schweiz zu generiert und Objekte auszuwählen. Im Fokus der Ausstellung stehen die Fragen: Was kann das Gesicht über uns aussagen? Welche Regungen können wir kontrollieren und welche nicht? Und wem gehört unser Antlitz im Zeitalter der digitalen Medien? Die Wahl des Ausstellungsthemas passt zur Leitidee der Ausstellungsinstitution «multidisziplinäre Ausstellungen zu Fragen der Zeit für ein breites Publikum» zu zeigen [2]. Die Ausstellungen sollen «nah am Menschen» sein, was auch am bisherigen Programm sichtbar wird, so wurden zuvor Ausstellungen zum Thema Schlaf (2018), Nachbarschaft (2017/2018) oder der Zeit (2017) ausgestellt [3]. Pro Jahr eröffnet die Institution zwei Ausstellungen, eine im Mai und eine im November. Für die Ausstellungserarbeitung hatte Sarah 18 Monate Zeit, unterstützt wurde sie von zwei weiteren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und dem Szenografie- und Grafikbüro «Schmauder Und».
Verschiedene Kapitel führen die Besucher*innen durch die aufwendig gestaltete Ausstellung. Die erste Konfrontation mit dem Gesicht beginnt bereits ausserhalb, an der Bushaltestelle «Seedamm Center» und zwar an den Wänden des betonierten Aufgangs zum Vögele Kultur Zentrum. Dort sind grossformatige schwarzweiss Plakate tapeziert, die verschiedene Gesichter von Menschen zeigen. Tritt man näher an ein Plakat heran, ist «#insideoutproject – A Global Art Project by JR» zu lesen. Sarah Wirth erklärt mir, dass es sich dabei um ein globales partizipatives Kunstprojekt handelt, das vom Fotografen und Street Art Künstler JR initiiert wurde [4]. Ziel des Projektes sei es, «Personen die Möglichkeit zu geben, eine persönliche Botschaft öffentlich sichtbar zu machen». Für die Ausstellung hat sie den Fotografen Reiner Roduner angefragt, die Portraits aus seiner bereits bestehenden Publikation «Switzers» [5] zu verwenden und beim Kunstprojekt einzureichen. In der Publikation sind 193 Menschen mit Migrationserfahrung portraitiert, die in der Schweiz leben. Die Plakate führen bis in den Ausstellungsraum, wo das Thema «Mimik», das erste Ausstellungskapitel bildet. Auf einem Zeitstrahl wird die Historie der Mimikanalyse dargestellt, ausgehend vom 17. Jahrhundert, wo erste Versuche unternommen wurden Mimiken zu kategorisieren bis in die Gegenwart, wo der Versuch unternommen wird mit Emotionsanalyse die menschliche Mimik auszuwerten.
Durch den langgezogenen Raum mit Oberlicht, sind dunkle Gestelle aufgebaut und durch die Anordnung von grünen Wänden und Bodenflächen wurden zahlreiche Räume geschaffen. Die Ausstellung wirkt dadurch luftig und reduziert; Aussparungen in den Wänden leiten den Blick auf einzelne Exponate oder andere Besucher*innen. Im zweiten Kapitel «VorURTEIL» wird die Frage gestellt, ob der Blick ins Gesicht automatisch mit einem Urteil über eine Person verbunden ist. Dazu sind beispielsweise die Wahlplakatfotos von Regierungsräten aus den Kantonen Zürich und St. Gallen zusehen, die mit Nummern von 1-19 markiert sind. Name und Parteizugehörigkeit werden bewusst nicht erwähnt. Auf einem «Wahlzettel» können Besuchende Fragen wie: «Mit dieser Person würde ich es ertragen, fünf Stunden in einem Lift stecken zu bleiben» ausfüllen und in Wahlurne legen. Auf einem Bildschirm werden die Ergebnisse der bisherigen Wahlzettel angezeigt. Sarah stellt erfreut fest, «die Besuchenden reagieren positiv auf solche interaktiven Möglichkeiten im Ausstellungsraum, sie nehmen sich Zeit und kommen miteinander ins Gespräch».
In den folgenden Kapiteln werden verschiedene szenografische und kuratorische Register gezogen, um die Besuchenden dem Faszinosum Gesicht näher zu bringen. Es gibt künstlerische Arbeiten, wie die Skulptur «Rain» von Samuel Salcedo, eine Soundinstallation in der ein blinder Mensch erzählt, wie es sich anfühlt mit anderen zu kommunizieren, ohne das Gesicht zu sehen. Es gibt verschiedene Hörstationen mit Expert*inneninterviews, die Exponate oder Ausstellungsbereiche kommentieren. Im Kapitel «Verletzliches Gesicht – Warum das eigene Gesicht umgestalten?» drückt mir Sarah Wirth plötzlich ein Auge in die Hand und sagt «das sind täuschend echt hergestellte Silikonobjekte. Sie ersetzen natürliche Gesichtsteile, welche durch Krebs oder einen Unfall verloren gegangen sind oder durch eine Nichtanlage nie existiert haben. Der Fachbegriff ist dafür Epithese.» Es ist der Kuratorin ein Anliegen auf das Thema hinzuweisen, da die künstlichen Gesichtsteile den Betroffenen helfen, um auf fremde Personen zu zugehen.
«Ausstellen und Vermitteln als integriertes Konzept zu denken, prägt bis heute meine Arbeit und ich habe das Privileg dies beruflich umsetzten zu können», sagt Sarah Wirth, als wir vor der offenen Werkstatt stehen. Auf einem Tisch stehen Kisten mit Stiften und Anleitungen für verschiedene Übungen, um das eigene Gesicht oder das Gesicht eines Freundes zu zeichnen. An den Wänden gibt es weitere Aufgaben, zum Beispiel können Schattenbilder aus schwarzem Karton ausgeschnitten werden. «Es ist das erste Mal, dass wir so eine Werkstatt in eine Ausstellung integrieren.» Vermittlung, so erklärt sie, «wird bereits in der Kickoff-Phase der Ausstellung mitgedacht.» Die Vermittlung beginnt und endet jedoch nicht mit der Werkstatt. Die Generierung der Ausstellungsinhalte und das ganze Veranstaltungsprogramm, mit Workshops, Podiumsgesprächen, Führungen, Kino-Sonntagen und einem ausführlichen Bulletin zur Ausstellung sind Teil des Vermittlungsangebots.
Wir gehen gemeinsam in den hintersten Raum, wo es um das gesellschaftspolitische und technische Thema «Gesichtserkennung» geht. Die elektronische Gesichtserkennung basiert auf der Nutzung von biometrischen Methoden. Ihre Entwicklung wird von Militär, Geheimdiensten oder Firmen wie Google vorangetrieben. Jedoch wird die Technik auch immer mehr im öffentlichen Raum eingesetzt. Gruselig wird es vor einem Bildschirm, der mein Gesicht erkennt und meinen Besuch in der Ausstellung auswertet. Ich bin der 6. Besucher an diesem Tag, meine Lesegeschwindigkeit ist unterdurchschnittlich (was vermutlich daran liegt, dass wir uns vor den Texttafeln unterhielten anstatt sie zu lesen) und meine Aufenthaltsdauer beträgt 99 Minuten – «das sind 19 Minuten mehr als der Durchschnitt», hinzu kommt ein Foto, das von mir aufgenommen wurde, ohne, dass ich davon etwas mitbekommen habe. Die Daten werden 8 Stunden später automatisch gelöscht.
Wir kommen noch auf das Publikum und die Vor- und Nachteile des Standorts zu sprechen. «Pfäffikon fühlt sich für viele Zürcher wie eine kleine Weltreise an», sagt sie schmunzelnd, jedoch gäbe es ein Stammpublikum, das regelmässig aus Zürich oder Ortschaften um den Zürichsee anreist. Es werden auch regelmässig die Mitarbeitenden von Firmen in Pfäffikon eingeladen, «es ist immer wieder spannend zu sehen, wie die Leute reagieren, wenn sie merken, dass es viele interaktive Stationen gibt und nicht nur Kunst präsentiert wird». Wenn Besucher das erstmal im Vögele Kultur Zentrum sind, sind sie meistens von den Ausstellungen überrascht und lassen sich auf die Ausstellungsinhalte ein. Generell lässt sich eine Nähe zu den Besuchenden feststellen: «es passiert schon, dass ich nach einer Führung eine E-Mail erhalte, in der Dinge nachgefragt werden oder einfach ein Dankeschön verschickt wird».
Am Ende unseres Treffens machen wir noch ein gemeinsames Selfie vor einem Bildschirm, der unsere Gesichter analysiert und Schätzungen zu Alter, Geschlecht und unserer Gefühlslagen «Angry – Happy – Sad – Surprised» abgibt. Die Software wurde am Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen entwickelt. Solche Programme sollen künftig Maschinen dabei helfen, auf Stimmungen ihrer Nutzer*innen zu reagieren. Ganz so einfach ist das ganze jedoch nicht, denn die menschlichen Gefühlskategorien sind zum Glück komplexer, als bisherige Algorithmen.
Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich bei Sarah Wirth für den äusserst spannenden Austausch und die Führung. Sarah Wirth wird übrigens am 9. Oktober 2019 einen Gastvortrag im Master Art Education Curatorial Studies halten. Die öffentliche Veranstaltungsreihe «Werkstatt Kuratieren» leitet Paolo Bianchi. Das Gespräch beginnt um 10 Uhr und findet im Toni-Areal, im Raum 4.T09 statt. Wir freuen uns, wenn ihr kommt.
Die nächste Ausstellung im Vögele Kulturzentrum widmet sich dem Thema «Abhängigkeiten» und eröffnet am 17. November 2019. Alle weiteren Informationen unter www.voegelekultur.ch
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[5] Roduner, Reiner, & Schmid, Roland. (2016). Switzers : Die 193 Nationen der Schweiz : Vielfältiges Wir. Zürich: AS Verlag.