Zürcher Resolution «ORGEL ORGUE ORGANO ORGAN 2011»
Die Orgel ist ein Kulturgut Europas mit Ausstrahlung in die ganze Welt. Sie prägt das Musikschaffen, die Musikausführung, die Musikerziehung und den Instrumentenbau seit Jahrhunderten.
Doch sie ist noch mehr: Im Kontext von Kirche und Christentum war und ist ihr geistlich-spiritueller Einfluss auf die Geisteshaltungen, Geistesströmungen und Werte mitprägend, auf welche Europa heute zu Recht stolz ist.
Die Orgel fasziniert Menschen sowohl als individuell gestaltetes, technisch komplexes Kunsthandwerk als auch durch ihre unermesslichen klanglichen Möglichkeiten.
Im Sinne der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt bewahrt die funktionstüchtige Orgel und das künstlerische Orgelspiel kulturelles Erbe, fördert musikalische Ausdrucksformen der Gegenwart und pflegt den Dialog mit anderen Kulturen. Die Orgel stärkt damit die kulturelle Identität des Menschen.
In einer Zeit rascher Veränderungen, auch gesellschaftlicher Umbrüche, ist es den hier versammelten Fachleuten für Orgelspiel und Orgelbau aus ganz Europa im Wissen um die wechselvolle Geschichte ihres Instruments ein Anliegen, die Bedeutung der Orgel für die Gesellschaft heute und in der Zukunft zu unterstreichen.
Mit Sorge stellen sie fest,
- dass die Orgelkultur in Europa Gefahr läuft, die ihr gebührende Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu verlieren,
- dass die Vertrautheit des Musikpublikums mit Orgelmusik aufgrund abnehmender kirchlicher Sozialisation seit Jahrzehnten zurückgeht,
- dass die Orgel in Gottesdiensten nicht genügend als innovatives, auch für weitere Musikstile offenes Instrument wahrgenommen und durch andere Instrumente oder gar Tonkonserven verdrängt wird,
- dass die Orgel in Programmen von Konzertveranstaltern, des Rundfunks (Radio und Fernsehen) sowie in den Printmedien wenig präsent ist,
- dass das Interesse an Orgelausbildungen, insbesondere an Musikhochschulen, weit herum schwindet,
- dass in manchen Ländern Europas zu wenig Mittel für Pflege und Erhaltung kostbarer historischer oder neuer Orgeln zur Verfügung stehen,
- dass Kirchen- und Konzertsaal-Orgeln durch Umnutzung der Räume oder aus Desinteresse nicht mehr genutzt und deshalb vernachlässigt oder entsorgt werden.
Sie wenden sich mit Vorschlägen zur Verbesserung der Situation an die Verantwortungsträger aus Politik, Kirche und Kultur, insbesondere an die Instanzen der EU und der UNESCO, die Regierungen, die kirchlichen Behörden und Würdenträger, die Musikhochschulen und Musikschulen, die Konzertveranstalter und die Medien.
Sie fordern dazu auf,
- die Orgelkultur als relevanten Teil des öffentlichen Kulturlebens zu behandeln,
- der Orgelmusik in Gottesdienst, Konzert und Rundfunk einen adäquaten Platz zu geben,
- Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch ansprechende Vorführungen und Konzerte an die Kultur der Pfeifenorgel heranzuführen, sie für Orgelmusik, ihre Klangvielfalt und Fülle zu begeistern sowie Interesse für das technische Wunderwerk zu wecken,
- den Pfeifenorgel-Unterricht in das Instrumentalunterrichts-Angebot aufzunehmen,
- Heranwachsende auf die interessanten Berufe der Orgelspielenden oder -bauenden hinzuweisen,
- die Ausbildung von haupt- wie nebenberuflichen Orgelspielenden anzubieten und auszubauen,
- die Benützung der vorhandenen Kirchenorgeln für die Ausbildung zum Kirchendienst kostenfrei zu halten und durch ausreichende Übezeiten zu fördern,
- die stilistische Eigenheit bestehender guter Orgeln zu erhalten und nicht durch unreflektierte modische Umbauten zu gefährden,
- Angestellte der Kirchenmusik angemessen zu positionieren und zu entlohnen,
- die notwendigen finanziellen Mittel für die Instandhaltung der Orgeln sowie für die Inventarisierung und Denkmalpflege bereit zu stellen, wenn nötig über die Landesgrenzen hinaus,
- mit dem Einsatz aller beteiligten Fachleute die Qualität der Instrumente sowie des konzertanten und liturgischen Orgelspiels auf hohem Niveau zu sichern.
Sie sind der Überzeugung, dass durch all diese Massnahmen die Situation des Instruments Orgel und des Orgelspiels verbessert und ein vermehrtes Interesse einer breiten Öffentlichkeit erreicht wird.
Zürich, 09.09.2011