Am 15. Januar fand im Berner Mรผnster eine bisher einmalige Veranstaltung fรผr Orgelstudierende und Dozierende aus der deutschsprachigen Schweiz statt. Organisiert wurde sie vom Vorbereitungskomitee des internationalen Symposiums zu Bedeutung und Zukunft der Orgel, das unter dem Namen "orgel2011" im September 2011 in Zรผrich stattfinden wird. Der Berner Mรผnsterorganist Daniel Glaus, selber Mitglied, sprach ein Grusswort und zeigte sich erfreut รผber die hohe Zahl Teilnehmender (etwa 60 Studierende).
Auch ohne professioneller Schwarzmaler zu sein, kann man der Orgel eine dรผstere Zukunft voraussagen, wenn wir als Orgelspielende nicht versuchen, gewisse Entwicklungen in unserem Sinne zu beeinflussen. So stimmt es beispielsweise mehr als nachdenklich, wenn zu hรถren ist, bei kirchlichen Veranstaltungen fรผr Kinder werde die Orgel ausgegrenzt, weil sie nicht altersgemรคss sei. Wo denn sonst sollen Kinder und Jugendliche รผberhaupt noch einen Zugang zu unserem Instrument bekommen? Und dass diese Aussage nachweislich falsch ist, zeigte dieser Tag auf eindrรผckliche Weise. Nun, das wussten wir schon. Unsere Aufgabe ist es, dies einem weiteren Kreis kundzutun. Dazu ist das Symposium "orgel2011" da.
Im Zentrum des Studientages stand eine bestimmte Form von Musikvermittlung, mit der die Orgel nรคher an ihr Publikum gebracht werden kann: Die Orgelprรคsentation. Tobias Willi (Zรผrich) und Babette Mondry (Basel) erlรคuterten im Eingangsreferat die Wichtigkeit, dem schwindenden Interesse in der รffentlichkeit entgegenzutreten und aktiv dazu beizutragen, dass Hemmschwellen abgebaut werden, die Medienprรคsenz wieder besser wird und auch ein kirchenfernes Publikum fรผr Orgelkonzerte begeistert werden kann. Denn das rein gottesdienstliche Orgelspiel und das tradtionelle Orgelkonzert sind nicht (oder nicht mehr) ausreichend, um das Instrument einer breiteren รffentlichkeit nahezubringen. Um fรผr die Orgel nachhaltig zu begeistern oder zumindest das Interesse dafรผr zu wecken, mรผssen andere Kanรคle gefunden werden.
Anders als bei Konzerten im engeren Sinn steht bei einer Orgelprรคsentation nicht die Musik, sondern das Instrument im Vordergrund. Es soll dem Publikum auf eine sinnliche und emotional ansprechende Art nรคher gebracht werden. Geschehen kann dies auf verschiedenste Art und Weise: Bei jรผngeren Kindern etwa mit einer spannenden Geschichte, mit Bildern und spielerischen Elementen. รltere Kinder interessieren sich eher dafรผr, wie das Instrument funktioniert. Jugendliche kรถnnen ins Konzept des Anlasses einbezogen werden und von Anfang an mitplanen und mitgestalten. Bei Erwachsenen schliesslich ist das Feld ganz offen. Im Verlauf des Tages wurden beispielhaft zwei Prรคsentationen vorgestellt, die durch ihre Unterschiedlichkeit zeigten, was alles mรถglich ist:
In der ersten erzรคhlte eine Katechetin aus der Mรผnsterpfarrei einer Gruppe von Kindern im Vorschulalter die Geschichte von Jakob, der zu Laban kommt und sich in Rahel verliebt. Dazu improvisierte Daniel Glaus auf seiner unlรคngst neu entwickelten Orgel mit variablem Winddruck. Die kompromisslos zeitgenรถssischen Klรคnge schienen die Kinder nicht im Mindesten zu beunruhigen. Wie hรคtten da wohl Erwachsene reagiert? Nachher konnten Fragen zur Musik und zur Funktion der Orgel gestellt werden. So wurde eine normale, regelmรคssig stattfindende Kinderstunde, die an sich nichts mit Orgel zu tun hat, zu einer thematisch passenden Orgeldemonstration mit kurzer Prรคsentation ausgebaut.
Am Nachmittag รผbernahm dann ein besonders berufenes Organistenpaar das Zepter. Barbara und Ueli Meldau, selber Eltern von drei (รผbrigens anwesenden) quirligen Kindern spielten die Geschichte der Orgelfee und dem Zauberer Maximus. Was sie darboten, war kein fertig komponiertes Programm, sondern eine eigene Zusammenstellung von musikalischen Versatzstรผcken aus den unterschiedlichsten Werken fรผr Orgel (zwei- und vierhรคndig) sowie verbindenden Texten. Es war gerade diese deutlich spรผrbare Spontaneitรคt gepaart mit Prรคsenz und Charisma, welche die Zuhรถrer sofort gefangen nahm. Dabei staunte man, wie selbst abgebrรผhte Orgelprofis รผber die Einfachheit gewisser Effekte schmunzeln mussten. Wer wรคre denn darauf gekommen, dass man eine vierstimmige Fugenexposition als Drache mit vier Kรถpfen "verkaufen" kรถnnte oder das Bewegen der Registerhebel mittels computergesteuerter Magnete als Werk eines Zauberers?
Ueli Meldau wies in seinem anschliessenden Vortrag nach, dass man als Stelleninhaber immer an die รffentlichkeitsarbeit denken sollte, will man den Kreis der Orgelmusikfans vergrรถssern. Die eigene Begeisterung ist sehr wichtig, reicht aber doch nicht ganz aus. Einige professionelle Werbetricks mรผssen da schon her, und seien es so einfache wie das Fรผhren einer genauen Adresskartei und Mailingliste, das Aufstellen eines grossen Plakates vor der Kirche (inklusive einem "heute"-Aufkleber), das Bewirtschaften der entsprechenden Rubriken im Internetauftritt der Kirchgemeinde oder den Ausbau persรถnlicher Kontakte mit "wichtigen" Personen ausserhalb. Als eigentliches Erfolgsrezept bezeichnete Ueli Meldau aber die gewissenhafte Pflege, ja den Ausbau der Kirchenmusik im Gottesdienst. Also nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als auch!
Elisabeth Zawadke gab anschliessend einen รberblick รผber die mittlerweile schon ziemlich grosse Anzahl in sich geschlossener Kompositionen, welche die Orgel selber zum Inhalt haben. Es handelt sich dabei um Werke mit mehr oder weniger grossem Textanteil, manchmal auch mit theatralischen Elementen. Freilich: Der Beizug des richtigen Stรผcks ist das eine, das andere sind aber persรถnliches Engagement und Ausstrahlung der Ausfรผhrenden, zwei im Bereich der musikalischen Arbeit mit Kindern entscheidende Faktoren, die aber leider fรผr Orgelspielende, die sich gerne hinter ihrem riesenhaften Instrument verstecken, ein hรคufig mit mehr oder weniger grossem Herzklopfen betretenes Neuland darstellen.
Die Gelegenheit zum Diskutieren wurde rege benutzt, auch wenn die grosse Anzahl Anwesender (und der an sich sehr eindrรผckliche Raum des Mรผnsters) dem spontanen Austausch nicht eben fรถrderlich war. Andreas Jost stellte die originelle Semester-Wettbewerbsaufgabe der Musikhochschulen der deutschsprachigen Schweiz vor: die Erarbeitung einer eigenen Orgelprรคsentation fรผr Kinder/Jugendliche inkl. einer genauen Dokumentation, eines Werbekonzeptes und einer Videoaufnahme des Resultates. Rudolf Meyer und Tobias Willi gaben dann zu guter Letzt einen kleinen รberblick รผber Ziele und Inhalt des eigentlichen Symposiums im Herbst.
Ein einmaliges Treffen in Dienste einer einmaligen Idee! Eines wurde dabei deutlich: Die Zeit des Einzelkรคmpfertums ist in der Orgelwelt endgรผltig vorbei. Und wenn dies die bisher einzige positive Nebenfolge unserer bewegten Zeit ist, wรคre schon viel gewonnen. Aber es kann auch mehr sein!
Emanuele Jannibelli