Holzer Kobler (Zürich) & Kühn Malvezzi (Berlin)
Seit einigen Jahren feiert der Szenografie-Begriff in der Museumslandschaft große Erfolge - und erntet gleichzeitig deutlichen Widerspruch. So hat der renommierte Schweizer Architekturhistoriker Stanislaus von Moos im Rahmen der Diskussionen um die neuen Ausstellungsarchitekturen im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich vehement Position bezogen: Es sei eine "fragwürdige Entwicklung", wenn Museen den Beistand von Szenografen suchten und dabei, wie im Falle des Schweizer Landesmuseums, ein "surrealistisches Salatbukett (...) architektonischer Zappelfiguren" entsteht. Wieviel Inszenierung verträgt eine Ausstellung? Die Ausstellungs-Architekten des Schweizerischen Landesmuseums, Barbara Holzer und Tristan Kobler vom Büro Holzer Kobler (Zürich) diskutieren diese Frage mit Wilfried Kuehn vom Berliner Büro Kuehn Malvezzi, das in den letzten Jahren vor allem durch raffiniert zurückhaltende Ausstellungsarchitekturen von sich reden machte. Es moderiert Stephan Trüby.
Die Referenten:
Barbara Holzer (dipl. Arch. ETH/SIA) arbeitete bis zur Gründung ihres eigenen Büros d-case 1999 freischaffend in den Bereichen Architektur und Ausstellungsgestaltung. Sie war mehrere Jahre für das Studio Daniel Libeskind als Projektleiterin für internationale Projekte mit Schwerpunkt Museumsbauten und Ausstellungen tätig. Sie realisierte unter anderem das Felix Nussbaum Haus in Osnabrück, das Jüdische Museum in San Francisco und die Ausstellung Berlin/Moskau in Berlin und leitete das Grossprojekt Westside, ein Einkaufs- und Freizeitzentrum in Bern. Innerhalb von Holzer Kobler Architekturen ist Barbara Holzer insbesondere mit dem Gesamtmanagement, mit Projektentwicklungen und der Steuerung verschiedener Architektur- und Ausstellungsprojekte betraut. Barbara Holzer ist Professorin an der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf.
Tristan Kobler (dipl. Arch. ETH) hat rund 70 Ausstellungen als Architekt, Kurator und Szenograf im kulturellen und kommerziellen Umfeld entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Alle Projekte entstanden in enger Zusammenarbeit mit Spezialisten, Wissenschaftlern, Künstlern und den Kunden, viele davon am Museum für Gestaltung Zürich in Zusammenarbeit mit Martin Heller. Seit 1996 ist er als Architekt und freier Kurator selbständig tätig. Ab 1999 führte er das Büro Morphing Systems, das mit zahlreichen Kultur- und Ausstellungsprojekten in der Schweiz und im Ausland auf sich aufmerksam gemacht hat. Tristan Kobler ist Professor an der Ecole cantonal d'art de Lausanne (ECAL) .
Wilfried Kuehn ist Professor für Ausstellungsgestaltung und Kuratorische Praxis an Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Er studierte Architektur in Mailand und Lissabon und gründete 2001 mit Johannes Kuehn und Simona Malvezzi die Architektenpartnerschaft Kuehn Malvezzi, Berlin.?Kuehn Malvezzi realisierte die Ausstellungsarchitektur der Documenta 11 (Umbau Binding Brauerei), die Erweiterung des Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof, Berlin für die Friedrich Christian Flick Collection, das Foyer sowie Leit- und Informationssystem der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Vorplatz, Eingangsbereich und Bibliothek der Berlinischen Galerie, die Architektur der Ausstellungen "Die Visionen des Arnold Schönberg" (Schirn Kunsthalle), "Intro Tool" (Kunstraum Innsbruck), "Kraftflächen" (Wien Museum), "Traumfabrik Kommunismus" (Schirn Kunsthalle), "Belgrad Art Inc" (Wiener Secession), "Michel Majerus Pop Reloaded" (Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof), "Die Nackte Wahrheit" (Schirn Kunsthalle), "Matisse" (K20 Düsseldorf), "Kult-Bild" (Städel Museum Frankfurt), "Rodin Beuys" (Schirn Kunsthalle), "Wiener Linien" (Wien Museum), "I like America" (Schirn Kunsthalle)
GREGOR SCHNEIDER: "EINE IMMOBILIE WIRD MOBIL"
Gregor Schneider (* 5. April 1969 in Rheydt) ist ein deutscher Künstler, dessen Arbeitsschwerpunkt gebaute Räume sind. Für sein bislang bekanntestes Werk, "Totes Haus u r" für den deutschen Pavillon, wurde er im Jahre 2001 mit dem Goldenen Löwen der Biennale ausgezeichnet.
Gregor Schneider studierte von 1989 bis 1992 an den Kunstakademien Düsseldorf und Münster sowie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Es folgten von 1999 bis 2003 verschiedene Gastprofessuren an den De Ateliers in Amsterdam, UCLA Los Angeles, der Hochschule für bildende Künste Hamburg und an der Royal Danish Academy of Fine Arts, Copenhagen. 2009 wurde Gregor Schneider als Professor für Bildhauerei an die Universität der Künste Berlin berufen.
Mit sechzehn Jahren stellte er in einer Einzelausstellung unter dem Titel "Pubertäre Verstimmung" in der Galerie Kontrast in Mönchengladbach aus. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitete er mit Räumen in Galerien und Museen, die er als dreidimensionale, begehbare Skulpturen begreift, welche die vorhandenen Galerie- oder Museumsräume zum Verschwinden bringen; die Vorlagen findet er in allen Bereichen eines Wohnhauses. Im Jahre 1985 hatte er begonnen, in einem Mehrfamilienhaus in Rheydt Räume aus- und umzubauen, das er im Folgenden als "Haus u r" betitelte.
2001 gewann Gregor Schneider mit der Einzelausstellung "Totes Haus u r Venedig 2001" den "Goldenen Löwen" der 49. Biennale in Venedig. Udo Kittelmann, seinerzeit Direktor des Kölnischen Kunstvereins, hatte den Künstler zu einer Einzelausstellung in den deutschen Pavillon eingeladen. Hier errichtete Schneider in einer Bauzeit von über drei Monaten ein Totes Haus u r, für das er insgesamt 24 Räume in 100 Packstücken mit einem Gesamtgewicht von 150 Tonnen von Rheydt per Schiff nach Venedig transportieren ließ; als totes Haus u r bezeichnet Schneider die Räume, die aus dem Haus u r für einen anderen Ort ausgebaut oder an einem anderen Ort rekonstruiert wurden.
Schneider baute die Räume im Inneren des deutschen Pavillons zu einem ähnlich doppelwandigen und doppelbödigen Haus im Haus wieder auf wie in Rheydt. Dem Gründerzeit-Eingang des Pavillons mit seinem Säulenportikus verpasste er einen Hauseingang mit Briefkastenschlitzen und bejahrten Klingelschildern an der Seite. Fenster im Innern ließen sich nicht nach außen öffnen. "Man baut, was man nicht mehr kennen kann", kommentierte Gregor Schneider seine Installation. Das Werk wurde im Rahmen der Biennale auch als subtile politische Aussage gedeutet, da der deutsche Pavillonbau aus dem Jahre 1909 gelegentlich als das "Martialischste" angesehen wurde, "was auf dem Gelände der Giardini" zu finden sei.
2003 wurde das Tote Haus u r für ein Jahr im Museum of Contemporary Art Los Angeles (MOCA) aufgebaut.
Eine aus 21 identischen Zellen bestehende und 400 Quadratmeter große begehbare Installation entstand am berühmtesten Strand der australischen Ostküste, dem Bondi Beach, unter dem gleichnamigen Titel "Bondi Beach, 21 beach cells". Das auf den Ausstellungsort abgestimmte Kunstwerk hinterfragt "das Ideal einer zwanglosen, egalitären Freizeitgesellschaft", dort, "wo sonst Strandvolleyballer und Rucksacktouristen, Marathonschwimmer und Hochzeitspaare das Bild bestimmen".
(Vortrag in deutscher Sprache)
MAS Spatial Design
(Master of Advanced Studies)
Zürcher Hochschule der Künste
Limmatstrasse 45, CH-8031 Zurich
+41 43 446 62 05