200 Jahre Joachim Raff
SRF 2 Kultur - im Konzertsaal - Das Orchester der ZHdK spielt Liszt, Raff und MacDowell
Orchester der Zürcher Hochschule der Künste
Marc Kissóczy - Leitung
Franz Liszt (1811–1886)
Ouvertüre zu Johann Gottfried von Herders 'Der entfesselte Prometheus',
instrumentiert von Joachim Raff (1850)
Edward MacDowell (1860–1908)
'Hamlet & Ophelia' op. 22 (1884)
_
Pause
_
Joachim Raff (1822–1882)
Sinfonie Nr. 5, E-Dur, op. 177
'Lenore' (1872)
Erste Abtheilung
I. Liebesglück. Allegro
II. Andante quasi larghetto
Zweite Abtheilung
III. Trennung. Marsch-Tempo - Agitato
Dritte Abtheilung
IV. Wiedervereinigung im Tode, Introduction und Ballade (nach G. Bürger's 'Lenore')
Allegro - Un poco più mosso (quasi stretto)
Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit der Joachim-Raff-Gesellschaft statt.
_
Biographie Marc Kissóczy
_
Werkbesprechungen
Franz Liszts Musik zur Prometheus-Sage ist heute vor allem als Sinfonische Dichtung Nr. 5 bekannt. Ursprünglich konzipierte sie Liszt aber als Ouvertüre zu einer Schauspielmusik zu Johann Gottfried Herders dramatischem Gedicht Der entfesselte Prometheus. Herders Werk sollte in Weimar 1850 anlässlich der Einweihung des Herder-Denkmals szenisch aufgeführt werden, und der ansässige Hofkapellmeister Liszt erhielt den Auftrag, die Musik dazu zu komponieren. Zur Seite stand ihm sein damaliger Assistent Joachim Raff: Den aus Lachen SZ stammenden, am Jesuitenkollegium in Schwyz ausgebildeten jungen Mann hatte Liszt 1845 in Basel bei einem seiner Klavier-Rezitale kennengelernt und ihn seither nach Kräften gefördert. Über Umwege war Raff Liszt 1850 schliesslich nach Weimar gefolgt. Nach einem halben Jahr in Liszts Diensten gab ihm sein Mentor nun die Aufgabe, die Rohfassung der Prometheus-Musik nach seinen Anweisungen zu instrumentieren. Diese Fassung gelangte am 24. August 1850 in Weimar zur Uraufführung. Fünf Jahre später revidierte Liszt das Werk. Dabei überarbeitete er nicht nur die musikalische Substanz, sondern auch die Instrumentation, und Raffs farbiger, warmer Orchesterklang musste einem schlankeren, geschärften Klangbild weichen. Nicht diese, sondern die kaum gespielte erste Fassung in der Instrumentation von Raff/Liszt gelangt hier zu einer ihrer seltenen Aufführungen.
Im Jahr 1878, im Alter von 56 Jahren, wurde Joachim Raff zum ersten Direktor des neugegründeten Dr. Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt berufen und wurde so vom einst Geförderten zum Förderer. Einer seiner Schützlinge war der gebürtige US-Amerikaner Edward MacDowell. Nach einem Aufenthalt in Frankreich war der junge Pianist 1878 nach Deutschland gekommen und hatte in Wiesbaden Klavierunterricht bei Karl Heymann genommen. Diesen Virtuosen verpflichtete Raff 1879 nach Frankfurt, und MacDowell folgte seinem Lehrer. Beeindruckt von MacDowells Können nahm Raff ihn in seine Kompositionsklasse auf, und MacDowell reifte unter Raffs Obhut zu einem versierten Komponisten. Genauso wichtig wie dieser Unterricht war für MacDowell der Kontakt zu Franz Liszt, den Raff 1879 und 1880 nach Wiesbaden einlud. Liszts Einfluss wird etwa in den beiden zusammengehörenden Sinfonischen Dichtungen Hamlet & Ophelia spürbar. MacDowell komponierte die musikalischen Charakterportraits 1885/86 nach einem Aufenthalt London, wo er Aufführungen von Shakespeares Stücken mit den weltberühmten Truppe um Henry Irving und Ellen Terry erlebt hatte. Diesen beiden Schauspielern widmete MacDowell denn auch seine Musik.
Joachim Raffs Berufung zum Frankfurter Konservatoriumsdirektor kam nicht von ungefähr. Nachdem er sich 1856 aus Liszts Umkreis gelöst und sich nach Wiesbaden gewandt hatte, war er in den 1870er Jahren zu einem der populärsten Komponisten überhaupt geworden. Dies verdankte er nicht zuletzt seinen Sinfonien: Mit der 3. Sinfonie «Im Walde» hatte er den internationalen Durchbruch geschafft, und auch die 5. Sinfonie «Lenore» gehörte in den 1870er Jahren in Deutschland zu den meistgespielten Orchesterwerken. In seiner Sinfonik zeigt sich in besonderem Mass Raffs Zwischenposition zwischen Traditionsbewusstsein und neudeutscher Ästhetik: Die meisten Werken nehmen einerseits auf eine aussermusikalische Vorlage Bezug, andererseits bleibt die Musik aber dennoch gängigen Konventionen verpflichtet (etwa Viersätzigkeit, Form, thematische Gestaltung). Die fünfte Sinfonie komponierte Raff auf Gottfried August Bürgers Ballade Lenore: Die ersten beiden Sätze schildern das Liebesglück der Hauptfiguren Lenore und Wilhelm, und im dritten Satz erscheint der Heereszug mit einem «lustige[n] Soldatenmarsch» (Raff), dem sich Wilhelm anschliesst. Der vierte Satz «Wiedervereinigung im Tode» folgt nun exakt dem Ablauf von Bürgers Ballade: Lenore wartet auf Wilhelm, erfährt dann aber, dass er im Krieg gefallen ist. In tiefer Verzweiflung lästert sie Gott und fällt vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf . In der Nacht vernimmt sie plötzlich ein Klopfen: es ist Wilhelm, der sie in Geistergestalt heimsucht und auf den Rücken seines Pferdes einlädt. Gemeinsam reiten sie durch die Nacht, begegnen einem Leichenzug, einer Hochzeitsgesellschaft, einem «luftigen Gesindel» am Hochgericht und erreichen schliesslich den Friedhof: «Geheul! Geheul aus hoher Luft, | Gewinsel kam aus tiefer Gruft. | Lenorens Herz, mit Beben, | Rang zwischen Tod und Leben.»
Iris Eggenschwiler
zhdk.ch/zhdkorchester