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    „... mehr als einen auf nachdenklichen Spaziergängen eingesammelten Strauß flüsternder Gräser denn als eine Sammlung von Thesen ...“

    07.05.2015, 14:00 – 19:00

    Toni-Areal, Raum 7.A04, Ebene 7

    Halbtagung zu Walter Benjamins Figuren einer revolutionären Jetztzeit und der von ihr geladenen Vergangenheit, zum Engel der Geschichte und zum Tigersprung.

    Isabell Lorey
    Engel und Tiger. Zu Benjamins Jetztzeit

    Die Gegenwart hat in Walter Benjamin einen starken Verteidiger. In seinem berühmten Text "Über den Begriff der Geschichte" bricht er mit vorherrschenden linearen Zeiterzählungen und macht die Jetztzeit stark. Um sie als eine der Kämpfe zu entfalten, führt Benjamin zwei (sich) bewegende Figuren ein: den Engel und den Tigersprung. Beide sind hilfreich, um Geschichte und Aktualität für eine präsentische Demokratie neu zu denken.

    Stefan Nowotny
    Im Strudel der Geschichte. Tigersprung und Suizid

    Das Bild vom Strudel der Geschichte entwirft Walter Benjamin in einem lange vor den Thesen "Über den Begriff der Geschichte" geschriebenen Text: dem "Tagebuch vom 7. 8. 1931 bis zum Todestag". "Sehr lang verspricht dieses Tagebuch nicht zu werden", lautet sein erster Satz, denn Benjamin trug sich zu diesem Zeitpunkt mit Suizidabsichten. Der Suizid, den Benjamin kurz nach Abfassung der "Thesen" auf der Flucht vor den Nazis tatsächlich beging, ist allerdings nicht die einzige Verbindung zwischen den beiden Texten. Ein zweiter ist der Versuch "eine Konzeption von Geschichte zum Ausdruck zu bringen, in der der Begriff der Entwicklung gänzlich durch den des Ursprungs verdrängt wäre": jenes Ursprungs, den Benjamin in den Thesen etwas chiffriert als Ziel eines "Tigersprungs" erscheinen lässt.
    Tigersprung und Suizid können somit als die beiden Pole aufgefasst werden, zwischen denen sich Leben im Strudel der Geschichte, weit entfernt von journalistischen Abnutzungen dieses Bildes, bewegt und möglicherweise entscheidet: Sprung in eine andere Möglichkeit von Geschichte "unter freiem Himmel" oder Sprung in die Unmöglichkeit ihrer Fortsetzung. Eine Alternative, die sich diesseits jeder Trennung von Persönlichem und Politischem aufspannt und die sich heute in Suizidwellen von Spanien bis Griechenland, von der indischen Landbevölkerung bis zur Jugend Südkoreas in neuen Gestalten manifestiert.

    Ruth Sonderegger
    "Eine schwache messianische Kraft" (These II)

    Benjamin zufolge ist uns von der Vergangenheit eine schwache messianische Kraft mitgegeben. Als historischer Materialist weiß Benjamin aber auch, wie schwierig es ist, dem damit einhergehenden Anspruch auf Glück und Erlösung hier und jetzt Rechnung zu tragen; vor allem darum, weil das Zeitregime der kapitalistischen Moderne solche Ansprüche fortlaufend in eine unerreichbare Zukunft abschiebt, sodass wir im Hamsterrad der Utopie wie von selbst immer weiter laufen wollen. Selbst schlaue Dekonstruktivist_innen kennen Glück, Erfüllung und Erlösung, aber auch Freiheit und Gleichheit nur im Modus des à venir.
    Benjamins "schwache messianische Kraft aus der Vergangenheit" ist m. E. weder ein Bekenntnis zur Theologie noch Rekurs auf ein vermeintlich goldenes Zeitalter. Aber was dann? Um Benjamins Hinweise auf die schwache messianische Kraft der Erlösung als heutige "revolutionäre Chance im Kampfe" (These XVII) zu begreifen, werde ich Paul Gilroys Überlegungen zu den diasporischen Traditionen des Judentums und des Black Atlantic heranziehen. Beide Traditionen formulieren eine harsche Kritik an der nicht nur teleologischen, sondern auch rassifizierenden "nation time" der europäischen Moderne. Eine Kritik wohlgemerkt, die nicht verneint, sondern insofern affirmativ ist, als sie vergangene und gegenwärtige messianische Kräfte vor der Zerstörung bewahrt, indem sie singuläres, vergangenes Glück trotz aller Diskontinuitäten in die Gegenwart vermittelt und damit auch die Vergangenheit erlöster macht.

    Eine Veranstaltung des MA Fine Arts und der Vertiefung Theorie / BA Medien & Kunst
    • Veranstaltungsdetails

      • Besetzung / Beteiligte

        Isabell Lorey, Stefan Nowotny und Ruth Sonderegger, moderiert von Jens Badura, Martina Fritschy und Gerald Raunig