DIPLOMPROJEKT
Der Atem, der nach H-Milch riecht,
der starke Körper der Mutter,
ihre stolze Statur, wenn sie im Wohnzimmer tanzt,
die Prügelei im Hinterhof,
die Füße auf dem weißen Teppich,
das Surren des Kühlschranks,
der Wind in den Haaren,
die Wärme des Gegenübers,
die Musik aus der Nachbarswohnung („I've fallen in love, I've fallen in love for the first time, this time I know it's for real…“),
der Geburtstag, der die Zeit sprengt,
das Ziepen, wenn die Mutter die Haare kämmt,
die Worte, die nicht über die Lippen kommen,
der Blick durchs Schlüsselloch,
zusammen auf der Achterbahn.
Können Erinnerungen auf der Bühne live rekonstruiert, re-enactet werden? Und geben sie dabei nicht immer mehr über das Heute preis als über das Damals? Welche Erinnerungen begleiten uns ein Leben lang? Welche sind zu schmerzhaft, um sie zu teilen? Und wie hilft Erinnern, unsere Vergänglichkeit zu zelebrieren und das JETZT intensiver zu erleben?
Die Theatermacherinnen Paula Lynn Breuer, AnnaKath Bano und Anela Luzi sowie die Mütter zweier von ihnen, Daniela Breuer und Valentina Luzi, erforschen Erinnerung, Ritual und Vermächtnis. Wie lassen sich intime, fragile Erinnerungen re-enacten und neu beleben? Können Gefühle erneut aufkommen, wenn äußere Eindrücke nachgestellt werden? Wie werden Traumata und Verletzungen von Generation zu Generation weitergegeben – und überwunden? Und warum sind Erinnern und Vergessen zugleich höchst individuelle und zugleich höchst kollektive Praxen?
DIE VERHINDERUNG DER DISTANZ ist eine theatrale Zeremonie der Vergänglichkeit, ein feierlicher Versuch, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, Sakrales und Profanes sowie mehrere Generationen aufeinandertreffen zu lassen. Ein Schweben zwischen dem ganz Persönlichen und dem Allzumenschlichen – der Versuch, sowohl zeitliche als auch emotionale Distanz zu verhindern.
MITWIRKENDE
Spiel: AnnaKat Bano, Paula Lynn Breuer, Anela Luzi, Daniela Breuer, Valentina Luzi
Inszenierung und Konzept: Paula Lynn Breuer
Textkomposition: Paula Lynn Breuer
Piano: Moritz Lieberherr
Bühnenbild / Licht: Safia Hachemi
Kostüm: Ruth Wulffen
Dramaturgie: Konstantin Züllich
Technik: BTW ZHdK, Konstantin Züllich
Mentorat: Stephan Stock
BIOGRAFIE
Paula Lynn Breuer, geboren in Düsseldorf, ist Regisseurin und Theatermacherin mit einem interdisziplinären Hintergrund in Schreiben, Tanz und Schauspiel.
Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen purer Unmittelbarkeit und symbolischer Verdichtung und verstehen sich als Versuch, Seh-, Fühl- und Denkgewohnheiten herauszufordern. Dabei ist für sie im Zeitalter serieller und flüchtiger Wahrnehmung die Form ebenso politisch wie der Inhalt.
Theater ist für sie eine Form der Wahrnehmung – eine Möglichkeit, den inneren Reichtum zu aktivieren: ein Versuchs-, Versammlungs- und Formraum, der sich seine Legitimation nicht im
Pragmatismus, sondern im Sensiblen, Poetischen, Widersprüchlichen, Radikalen und Geheimnisvollen schafft.
Seit 2020 studiert Paula Lynn Breuer Theaterregie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Ihre studentische Arbeit TO TELL A STORY IS AN ACT OF LOVE aus dem 5. Semester wurde 2023 zum Körber Studio Junge Regie eingeladen und von der Jury auf die Shortlist gewählt. Ihre Regiearbeit Der Weg zurück nach Dennis Kelly wurde 2024 auf die Shortlist des Schweizer Theatertreffens gewählt. Im Februar 2025 schloss sie ihr Studium mit der Inszenierung DIE VERHINDERUNG DER DISTANZ ab.
Bereits vor dem Studium inszenierte sie international, etwa in Rumänien, wo ihre Arbeit V.I.P – Very Isolated Person (Staatstheater Temeswar und Galerie Meta Spatio) 2020 für den renommierten Theaterpreis UNITER nominiert wurde.
Sie untersucht klassische und zeitgenössische Texte auf ihre Menschlichkeit und Aktualität, schreibt eigene Stücke, entwickelt Texte aus offenen Prozessen heraus und arbeitet ebenso in Formaten, bei denen primär die physische und symbolische Auseinandersetzung im Vordergrund steht. Diese Vielseitigkeit erlaubt ihr, sich flexibel auf verschiedene Produktionskontexte einzulassen.
Thematische Schlagwörter ihrer Arbeiten sind: Vergänglichkeit, körperliche und seelische Versehrtheit, Einsamkeit, Erinnerung, Ritualität, Sakralität/Profanität, Vermächtnis und Ekstase.
Paula Lynn Breuer versucht, mit ihren Inszenierungen auf sakrale Weise Empathie zu erzeugen. Was sie dabei antreibt, ist wahrscheinlich ein Drang nach Versöhnung und Vergebung – vor allem mit sich selbst und der Unzulänglichkeit des Menschseins.