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    «Wir müssen unser Verhältnis zu Energie neu denken»

    Aus dem Hochschulmagazin Zett

    «Meteorit» an der Ausstellung Refresh. Foto: David Jäggi.

    Veröffentlicht am 01.07.2024

    Autor:in Sophia Prinz

    • Design
    • Campus

    Ein Gespräch über die komplexen Verflechtungen zwischen der menschlichen und mehr-als-menschlichen Welt. Sophia Prinz, Professorin für Designtheorie und -geschichte im Departement Design, diskutiert mit Miranda Moss, Forscherin/Künstlerin/Vermittlerin, und der Fine Arts-Alumna Leandra Agazzi über künstlerische Strategien, die sich mit «Care» und der ökologischen Krise befassen.

    SPR: Im posthumanistischen Diskurs ist «Care» ein sehr weit gefasster Begriff: Er bezeichnet die Sorge für ein ausgedehntes Beziehungsnetz, in dem das Wohlergehen der Menschen nicht von dem Wohlergehen anderer Lebewesen und Ressourcen getrennt werden kann. Diese Betonung der genuinen Verflechtung von Natur und Kultur ist der extraktivistischen Logik des traditionellen westlichen Naturbegriffs entgegengesetzt. Inwieweit hat diese Diskussion eure künstlerische und gestalterische Praxis beeinflusst?

    MMO: Ich bin geradezu besessen vom Thema Energie und denke ständig über unsere Beziehung zu Energie nach – sowohl in unserer Rolle als Verbraucher:innen als auch als Produzent:innen. Mich beschäftigt vor allem die Frage, wie wir von Energieverbaucher:innen zu Energieverwalter:innen werden können. Wie können wir Energie als etwas betrachten, mit dem wir leben und für das wir Sorge tragen?

    Was meinst du mit «Energie»?

    MMO: Ich gehe von einem umfassenden, ganzheitlichen Energiebegriff aus. In meiner praktischen Arbeit bin ich besonders an Elektrizität interessiert. Ich glaube, dass wir heute dazu neigen, Energie und Elektrizität synonym zu verwenden, obgleich es sich nicht um dasselbe handelt. Ich interessiere mich für die Elektrizität, die in der Natur vorkommt, und für die Organismen, in denen sie entsteht. Ich habe zum Beispiel viel mit elektrisch geladenen Bakterien gearbeitet. Ich habe beobachtet, wie sie mit ihrer Umwelt interagieren und frage mich, wie wir die Elektrizität, die sie produzieren, auf nicht-extraktive Weise für uns nutzen können. Dazu müssen wir diese Bakterien und ihre Mikroökosysteme fürsorglich behandeln.

    Und welche Rolle spielt der «Care» Begriff in deiner künstlerischen Arbeit, Leandra?

    LAG: In meiner skulpturalen und installativen Arbeit nutze ich verschiedene Arten von Materialien. Bereits bei deren Wahl mache ich mir Gedanken zu ökologischen Aspekten im Sinne von «Care». Ich interessiere mich dafür, woher das Material stammt und aus welchem Ökosystem ich es beziehe. In meinen Installationen arbeite ich oft mit Pflanzen, die intensiv gepflegt werden müssen. Für die Arbeit, die ich bei REFRESH ausgestellt habe, arbeitete ich mit einem speziellen Licht, das die Pflanzen zum Wachstum anregte. Ich verspüre eine grosse Neugierde, von anderen Lebewesen zu lernen, um sie besser zu verstehen. Dabei geht es mir nicht um eine analytische Betrachtungsweise, sondern um die Schaffung und Gestaltung einer Verbindung zu anderen Lebewesen.

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    Wir müssen die Art und Weise, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, von Grund auf überdenken. Das bedeutet auch, der globalen und postkolonialen Dimension der Klimakrise Rechnung zu tragen. Miranda, du beschäftigst dich mit post- und dekolonialen Themen – wie hängt dein Interesse an Energie mit diesen Fragen zusammen?

    MMO: Ich komme aus Südafrika. Anders als in Europa ist die so genannte postkoloniale Realität dort sehr präsent. Sie ist auch in Europa sichtbar, wir müssten nur unseren Blick dafür schärfen. Die postkoloniale Realität in Südafrika ist für mein Denken wichtig, ebenso wie Queerness. Meine Praxis beschäftigt sich in vielerlei Hinsicht mit der Umverteilung von Macht. Sie spiegelt sich zum Beispiel in meiner pädagogischen Arbeit wider. Ich begreife Bildungsworkshops als eine künstlerische Tätigkeit, da ich sie bewusst in nicht institutionellen Umgebungen durchführe. Ein entscheidender Aspekt für mich ist dabei die Einbeziehung der Teilnehmenden: Sie sind nicht nur Konsument:innen, sondern aktive Beteiligte, die in der Lage sind, zu entwickeln oder zu hacken. Ich möchte sie dazu ermächtigen, sich selbstbewusst in die Diskussionen zu diesem Thema einzubringen. In meiner Masterarbeit habe ich mich mit der «unterdrückenden» Infrastruktur meiner Heimatstadt Cape Town in den Bereichen Energie, Wasser und Abwasserentsorgung beschäftigt. Wie könnten diese Infrastrukturen dezentralisiert werden? Meiner Meinung nach sind sie leider noch immer in koloniale Systeme eingebettet. Meine Ausgangsfrage war: Wie können wir diese unterdrückenden Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen aufbrechen, vor allem auch in Bezug auf Energie und Wasser?

    Doch der Kunstbetrieb folgt seinen ganz eigenen Regeln und Wertestrukturen. Aus meiner Sicht ist er von der Realität ganz schön weit entfernt.

    Miranda Moss
    Der Begriff «Empowerment» ist also ganz wörtlich zu nehmen. Auch bei Elektrizität und Infrastrukturen geht es um «Power» – im doppelten Sinne von «Macht» und «Energie».

    MMO: Ja, ich denke schon. Ich habe einen Slogan: «Energie und Macht produzieren beide Widerstand».

    Die Frage der Macht spielt natürlich auch im Kunstfeld eine zentrale Rolle. In letzter Zeit sind viele Kunstinstitutionen auf die Themen Ökologie und «Care» aufgesprungen, ohne sich auf einer tiefergehenden oder gar selbstreflexiven Ebene damit zu befassen. Auf diese Weise läuft die Kunst Gefahr, zu einem blossen Ornament eines kritischen Diskurses zu werden (wie es sich auch bei anderen Themen beobachten lässt). Doch wie kann diese extraktivistische Logik überwunden werden? Was denkst du, Leandra?

    LAG: In meinen Installationen geht es immer darum, eine Atmosphäre im Raum zu schaffen – eine sinnliche Erfahrung. Durch sie hinterfrage ich die Position des menschlichen Körpers in der Welt. In meiner künstlerischen Arbeit geht es mir um den Kontrast zwischen geometrischen Formen und natürlichen Strukturen. Ich möchte auf experimentelle Weise die Grenzen zwischen den beiden verwischen.

    Derontologische Status der Pflanze ändert sich tatsächlich, sobald sie in ein Kunstgalerie gerät – sie wird automatisch zu einem Ready-made. Aber kommen wir noch einmal auf die Frage der Rezeption zurück: Leandra, du hast gesagt, dass deine Arbeit die Wahrnehmungsgewohnheiten der Betrachter:innen herausfordert: Man soll sich der eigenen körperlichen Abhängigkeit von ökologischen Systemen bewusst werden – eine Einsicht, die im modernen Denken mehr oder weniger überzeugend verdrängt wurde. In diesem Sinne kann die Kunst auch als Medium dienen, um andere Wahrnehmungshaltungen und Umgangsweisen mit der Welt einzuüben, oder?

    MMO: Sprache ist oftmals zu limitiert, um eine wirkliche Veränderung zu bewirken. Daher scheint mir eine sinnliche Erfahrbarkeit in der künstlerischen Arbeit wichtig. In der Wissenschaft verhält es sich ähnlich. Kunst und Wissenschaft sind schon seit langem keine getrennten Disziplinen mehr. Das letzte Mal, dass sie wirklich getrennt gewesen sind, war zu Beginn der industriellen Revolution, die mit der Verwüstung des Planeten und dem zunehmenden CO2-Ausstoss einherging. Kunst und Wissenschaft sollten als Einheit gedacht werden, um die Folgen des Klimawandels zu entschärfen. Als Künstlerin beschäftige ich mich mit wissenschaftlichen Fragestellungen. Ich habe mir so einen sicheren Raum erspielt, eine Art dritte Dimension. In diesem geschützten Raum kann ich Transdisziplinarität leben. Wenn man mich fragt, was ich mache, sage ich, dass ich Künstlerin bin. Für mich stellt sich aber die Frage: mache ich wirklich Kunst?

    Ich glaube, wir müssen die disziplinären Grenzziehungen zwischen Kunst und Nicht-Kunst oder Kunst und Wissenschaft radikal in Frage stellen, um eine fürsorglichere Form des Weltbezugs entwickeln zu können. Das Gleiche gilt für die etablierten Regeln und Praktiken des Kunstbetriebs, denn die ihnen innewohnende Logik des Wettbewerbs und der individuellen Autorschaft scheint mir nicht wirklich nachhaltig zu sein.

    MMO: Nein, absolut nicht. Wir können Parallelen zu Technologie und Wissenschaft ziehen, wie die Open-Source-Bewegungen. Es ist ein wirklich perfider kapitalistischer Trick, die um knappe Ressourcen konkurrierenden Künstler:innen dazu zu zwingen, sich dem bestehen – den System unterzuordnen. Selbstverständlich müssen wir das System langfristig ändern, aber wir müssen heute auch von etwas leben. Wie also soll das Geschehen und was können und sollen wir dazu beitragen? Du hast vorhin gefragt, wie wir mit den bestehenden Strukturen der zeitgenössischen Kunst, die sich auf diese Diskurse beziehen, umgehen können. Ich sehe uns als Kunstschaffende, die sich mittels Transdisziplinarität und der Auseinandersetzung mit «Sacred Ecology» in der Kunstwelt ihre eigenen Räume schaffen. Die Kunst ist nur ein Bereich unter vielen, nicht wahr?

    Natürlich kann es nicht alleine die Aufgabe von Künstler:innen sein, die kapitalistische Logik der Kunstwelt auszuhebeln. Das wäre eine heillose Überforderung. Auch das Bildungssystem sollte transdisziplinäre und kollaborative Arbeitsweisen stärker unterstützen.

    LAG: Im Masterprogramm gibt es einige Leute, die genau das anstreben, doch sie sind noch immer Outsider. Es ist eine Sache, Kunst zu verstehen, aber eine ganz andere, etwas wirklich Anderes als das gemeinhin Akzeptierte zu tun. Das braucht Mut! — MMO: Ich habe lange Zeit ausschliesslich kollaborativ gearbeitet. Wenn ich zu einer Ausstellung eingeladen werde, empfinde ich ein gewisses Unbehagen, dass nur mein Name dort steht. Ich frage mich, wie ich die Arbeit aller Beteiligten angemessen würdigen kann. Ich arbeite zudem mit Personen zusammen, die sich dafür einsetzen, dass Wissen frei zugänglich ist. Doch der Kunstbetrieb folgt seinen ganz eigenen Regeln und Wertestrukturen. Aus meiner Sicht ist er von der Realität ganz schön weit entfernt.

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    Ein Videorückblick auf REFRESH #5 findet sich hier: refresh.zhdk.ch. Save the Date: Ausstellung REFRESH X Fantoche vom 4.–8. September 2024.

    Leandra Agazzi studiert Fine Arts an der ZHdK.

    Miranda Moss ist eine multidisziplinäre Künstlerin aus Cape Town, Südafrika.


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