- Der Begriff «Empowerment» ist also ganz wörtlich zu nehmen. Auch bei Elektrizität und Infrastrukturen geht es um «Power» – im doppelten Sinne von «Macht» und «Energie».
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MMO: Ja, ich denke schon. Ich habe einen Slogan: «Energie und Macht produzieren beide Widerstand».
- Die Frage der Macht spielt natürlich auch im Kunstfeld eine zentrale Rolle. In letzter Zeit sind viele Kunstinstitutionen auf die Themen Ökologie und «Care» aufgesprungen, ohne sich auf einer tiefergehenden oder gar selbstreflexiven Ebene damit zu befassen. Auf diese Weise läuft die Kunst Gefahr, zu einem blossen Ornament eines kritischen Diskurses zu werden (wie es sich auch bei anderen Themen beobachten lässt). Doch wie kann diese extraktivistische Logik überwunden werden? Was denkst du, Leandra?
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LAG: In meinen Installationen geht es immer darum, eine Atmosphäre im Raum zu schaffen – eine sinnliche Erfahrung. Durch sie hinterfrage ich die Position des menschlichen Körpers in der Welt. In meiner künstlerischen Arbeit geht es mir um den Kontrast zwischen geometrischen Formen und natürlichen Strukturen. Ich möchte auf experimentelle Weise die Grenzen zwischen den beiden verwischen.
- Derontologische Status der Pflanze ändert sich tatsächlich, sobald sie in ein Kunstgalerie gerät – sie wird automatisch zu einem Ready-made. Aber kommen wir noch einmal auf die Frage der Rezeption zurück: Leandra, du hast gesagt, dass deine Arbeit die Wahrnehmungsgewohnheiten der Betrachter:innen herausfordert: Man soll sich der eigenen körperlichen Abhängigkeit von ökologischen Systemen bewusst werden – eine Einsicht, die im modernen Denken mehr oder weniger überzeugend verdrängt wurde. In diesem Sinne kann die Kunst auch als Medium dienen, um andere Wahrnehmungshaltungen und Umgangsweisen mit der Welt einzuüben, oder?
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MMO: Sprache ist oftmals zu limitiert, um eine wirkliche Veränderung zu bewirken. Daher scheint mir eine sinnliche Erfahrbarkeit in der künstlerischen Arbeit wichtig. In der Wissenschaft verhält es sich ähnlich. Kunst und Wissenschaft sind schon seit langem keine getrennten Disziplinen mehr. Das letzte Mal, dass sie wirklich getrennt gewesen sind, war zu Beginn der industriellen Revolution, die mit der Verwüstung des Planeten und dem zunehmenden CO2-Ausstoss einherging. Kunst und Wissenschaft sollten als Einheit gedacht werden, um die Folgen des Klimawandels zu entschärfen. Als Künstlerin beschäftige ich mich mit wissenschaftlichen Fragestellungen. Ich habe mir so einen sicheren Raum erspielt, eine Art dritte Dimension. In diesem geschützten Raum kann ich Transdisziplinarität leben. Wenn man mich fragt, was ich mache, sage ich, dass ich Künstlerin bin. Für mich stellt sich aber die Frage: mache ich wirklich Kunst?
- Ich glaube, wir müssen die disziplinären Grenzziehungen zwischen Kunst und Nicht-Kunst oder Kunst und Wissenschaft radikal in Frage stellen, um eine fürsorglichere Form des Weltbezugs entwickeln zu können. Das Gleiche gilt für die etablierten Regeln und Praktiken des Kunstbetriebs, denn die ihnen innewohnende Logik des Wettbewerbs und der individuellen Autorschaft scheint mir nicht wirklich nachhaltig zu sein.
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MMO: Nein, absolut nicht. Wir können Parallelen zu Technologie und Wissenschaft ziehen, wie die Open-Source-Bewegungen. Es ist ein wirklich perfider kapitalistischer Trick, die um knappe Ressourcen konkurrierenden Künstler:innen dazu zu zwingen, sich dem bestehen – den System unterzuordnen. Selbstverständlich müssen wir das System langfristig ändern, aber wir müssen heute auch von etwas leben. Wie also soll das Geschehen und was können und sollen wir dazu beitragen? Du hast vorhin gefragt, wie wir mit den bestehenden Strukturen der zeitgenössischen Kunst, die sich auf diese Diskurse beziehen, umgehen können. Ich sehe uns als Kunstschaffende, die sich mittels Transdisziplinarität und der Auseinandersetzung mit «Sacred Ecology» in der Kunstwelt ihre eigenen Räume schaffen. Die Kunst ist nur ein Bereich unter vielen, nicht wahr?
- Natürlich kann es nicht alleine die Aufgabe von Künstler:innen sein, die kapitalistische Logik der Kunstwelt auszuhebeln. Das wäre eine heillose Überforderung. Auch das Bildungssystem sollte transdisziplinäre und kollaborative Arbeitsweisen stärker unterstützen.
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LAG: Im Masterprogramm gibt es einige Leute, die genau das anstreben, doch sie sind noch immer Outsider. Es ist eine Sache, Kunst zu verstehen, aber eine ganz andere, etwas wirklich Anderes als das gemeinhin Akzeptierte zu tun. Das braucht Mut! — MMO: Ich habe lange Zeit ausschliesslich kollaborativ gearbeitet. Wenn ich zu einer Ausstellung eingeladen werde, empfinde ich ein gewisses Unbehagen, dass nur mein Name dort steht. Ich frage mich, wie ich die Arbeit aller Beteiligten angemessen würdigen kann. Ich arbeite zudem mit Personen zusammen, die sich dafür einsetzen, dass Wissen frei zugänglich ist. Doch der Kunstbetrieb folgt seinen ganz eigenen Regeln und Wertestrukturen. Aus meiner Sicht ist er von der Realität ganz schön weit entfernt.