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    «Was erzählt die Fiktion über die Realität?»

    Interview mit Barbara Sommer

    Barbara Sommer © Mara Truog

    Veröffentlicht am 17.12.2024

    Autor:in Smilla Diener & Leila Alder

    Barbara Sommer leitet seit August 2024 den Major Kulturpublizistik. Im Interview blickt die Drehbuchautorin und Dramaturgin in die Zukunft des Studiengangs und erörtert ihre persönliche Perspektive auf die Kernkompetenzen von Autor:innen bis Kommunikationsexpert:innen.

    In drei Sätzen zusammengefasst – was macht für dich den Major Kulturpublizistik aus?

    Im Major Kulturpublizistik steht den Studierenden ein aussergewöhnlich vielseitiges Kursprogramm offen: Sie können sich in unterschiedliche Praktiken des Schreibens, des Publizierens und des Vermittelns ausprobieren und das breite Angebot im wahrsten Sinne des Wortes gebrauchen, um das eigene Profil zu schärfen. Die Brücke vom Unterricht zur Berufspraxis bildet unser Mentoring-System. Aus unserem Pool von Kommunikationsexpert:innen, Journalist:innen, Kritiker:innen, Kulturwissenschaftler:innen und Autor:innen wählen die Studierenden abhängig vom individuellen Schwerpunkt eine Mentor:in aus, die sie durchs Studium begleitet – bis zur Veröffentlichung des eigenen Masterprojekts.

    Du hast im Sommer 2024 die Leitung des Major Kulturpublizistik von Ruedi Widmer übernommen. Wie wirst du das MA-Programm in den nächsten Jahren weiterentwickeln?

    Themen wie KI, hybrides Publizieren, ein zeitgemässes Verständnis von Autor:innenschaft und die Macht des Storytellings stellen neue Herausforderungen dar, die uns im Unterricht beschäftigen werden. Der Studiengang soll Antworten (ver)suchen auf Fragen wie: Wie können wir als Autor:innen gesellschaftlich etablierte Narrative aufbrechen? Wie können wir dem «Bubblebuilding» entgegenwirken und mit unseren Mitteln neue Durchlässigkeiten schaffen? Wo müssen wir uns mit unseren kritisch-reflexiven Stimmen in der Öffentlichkeit verorten, um gehört zu werden? Wir werden in intensiver Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Dozierenden eine digitale Plattform entwickeln, die neue Möglichkeiten für Kollaborationen schafft. Einerseits als Vehikel, um uns im und über den deutschsprachigen Raum hinaus mit anderen Hochschulausbildungen unseres Feldes zu vernetzen. Und andererseits, um publizistische Texte und mediale Vermittlungsstrategien in Kollaboration mit Kulturinstitutionen zu entwerfen, zu erarbeiten und zu veröffentlichen.

    Du bist Drehbuchautorin und Dramaturgin. Welche Perspektiven bringst du mit?

    Als Dramaturgin beschäftigen mich Übersetzungsprozesse, die ich am besten in Form von Fragen umschreiben kann: Was passiert mit dem geschriebenen Text, wenn er sich auf der Bühne ins gesprochene Wort verwandelt? Was erzählt die Fiktion auf der Bühne über die Realität unserer Gesellschaft? Und was bedeuten die alten Geschichten der Theaterliteratur für unsere heutige Wahrnehmung von Welt? Solche Übersetzungsarbeit ist eine Kernkompetenz nicht nur im Theater, sondern auch in der publizistischen Arbeit. Da wir uns die Welt und die Gesellschaft in Form von Geschichten zu eigen machen, müssen wir als Autor:innen die Mechanismen des Storytellings ganz genau kennen. Nur so können wir Erzählgewohnheiten und die darin enthaltenen Machstrukturen aufbrechen.

    «Drehbuchschreiben ist pures Storytelling: Ich vergrabe mich in seine (Un-)tiefen und versuche, eine Geschichte zu schreiben, die emotional überwältigt. Das gleicht oft einem Kampf gegen Windmühlen, aber einem sehr lehrreichen. Das sind Prozesse, die für Autor:innen, egal in welchem Genre, zentral sind.»

    Barbara Sommer
    Warum hat es dich von der erfolgreichen (Kultur-)Praxis in die Lehre gezogen?

    Ich weiss seit ein paar Jahren – vielleicht, seit meine Kinder auf der Welt sind –, dass ich mein Wissen aus der Praxis weitergeben und zur Diskussion stellen will. Bei meiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien und an der ZHdK habe ich schliesslich gefunden, was ich schon länger suchte: den kritischen und frischen Blick der Studierenden, der mich motiviert, inspiriert und fordert.

    Welche Eigenschaften sollen Kulturpublizistik-Studierende neben den formalen Voraussetzungen – einem absolvierten BA-Studium – mitbringen?

    Ich glaube, zentral sind Neugier und Offenheit. Dort, wo’s holpert, wo’s ungemütlich, wo’s schwierig wird, möchte ich mit meinen Studierenden und meinem Team neue Pfade suchen und schrittweise begehbar machen. Ausserdem erwarten wir, dass unsere Bewerber:innen mit dem Schreiben vertraut sind und kommunikative Kompetenzen mitbringen.

    Du arbeitest und lebst seit 14 Jahren in Zürich. Warum hast du dich für diese Stadt entschieden?

    Ich würde eher sagen: Zürich hat sich für mich entschieden. Meine allerersten Praktika führten mit hierher, mein erstes Engagement als Dramaturgin am Schauspielhaus ebenso. Dann, nach einem Abstecher ans Burgtheater in Wien, war es die Liebe, die mich erneut nach Zürich brachte. Was nicht zu unterschätzen ist: Zürich hat eine ideale Grösse und kulturelle Vielfalt, um sich mit interessanten Kulturschaffenden aus allen Bereichen zu vernetzen. Man ist schnell Teil des Kuchens. Das gibt Halt, dient aber auch als Sprungbrett in die internationale Kulturszene.

    Apropos Kulturszene: Finden Abgänger:innen des MA Kulturpublizistik nach dem Studium eine Stelle?

    Viele unserer Abgänger:innen finden in der Organisationskommunikation von Kulturinstitutionen (Museen, Theater, Festivals etc.) oder in grösseren Medienhäusern (Tamedia, SRF etc.) ihr berufliches Zuhause. Einige stossen zu Start-Ups, die auf zeitgemässes Publishing ausgerichtet sind, andere arbeiten als freie Autor:innen. Die erste wirklich gute Nachricht ist, dass unsere Abgänger:innen nahezu ausnahmslos Orte finden, an denen sie gerne und zu fairen Konditionen arbeiten. Die zweite ist, dass unsere Abolvent:innen geschult sind, sich in gesellschaftspolitischen Diskursen kritisch und konstruktiv miteinzubringen. Diese Kompetenzen sind in Zeiten, in denen unsere Demokratie existenziell bedroht ist, von unschätzbarem Wert.


    Weitere Informationen zum Major Kulturpublizistik

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