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    Mode als identitätsstiftende Praxis

    Aus dem Hochschulmagazin Zett

    Buchcover. Layout: Manu Beffa. Abbildung: Jonas Konrad: das neue blau, 2020

    Veröffentlicht am 01.04.2025

    Autor:in Maike Thies

    • Design
    • Campus

    Die Publikation «Mode und Gender» befasst sich mit dem vielschichtigen Spannungsverhältnis zwischen Identitätspolitik, Gesellschaft und Mode. Und dies sowohl aus kulturhistorischer Perspektive als auch in Form von Gegenwartsanalysen junger Designforscher:innen. Die beiden Herausgeberinnen Anna-Brigitte Schlittler und Prof. Katharina Tietze geben Einblicke in ihre Motivation zur Realisierung des Buches.

    Maike Thies: Wie seid ihr bei der Kuration des Buches «Mode und Gender» vorgegangen?

    Anna-Brigitte Schlittler: Der Band ist das Ergebnis einer Tagung des netzwerks mode textil, das massgeblich im deutschsprachigen Raum agiert. Wir wollten möglichst viele unterschiedliche Stimmen zusammenbringen. Uns interessierte beispielsweise, wie verschiedene Altersgruppen das Thema reflektieren. Wichtig war uns auch, Theoretiker:innen wie Gestalter:innen zu Wort kommen zu lassen. Zudem war es uns ein Anliegen, aussereuropäische Positionen miteinzubeziehen.

    Wir bewegen uns mit den Buchbeiträgen historisch weit zurück, dann katapultieren wir unsere Leser:innen aber auch ganz unmittelbar in die Gegenwart.

    Anna-Brigitte Schlittler
    Wie grenzt sich der Band zu bestehender Literatur ab oder anders gefragt: wo bricht er den derzeitigen Diskurs auf und erweitert ihn?

    Anna-Brigitte Schlittler: Die Definition des Begriffs Mode ist immer im Fluss, hier setzen wir an. Es geht um weit mehr als nur Kleidung. Was ist mit Körperbewegung, Haaren, Make-Up, etc.? Ich sehe da ein riesiges Forschungsfeld. Darüber hinaus kritisieren wir den nach wie vor eurozentrisch geprägten Begriff, der dazu führt, dass weite Teile des globalen Modegeschehens sowohl in der akademischen Auseinandersetzung als auch in der kommerziellen Berichterstattung kaum Beachtung finden. Katharina und ich verstehen Mode als Praxis. Wir bewegen uns mit den Buchbeiträgen historisch weit zurück, dann katapultieren wir unsere Leser:innen aber auch ganz unmittelbar in die Gegenwart. /// Katharina Tietze: Wir positionieren uns mit dem Band klar innerhalb der Designforschung: Mode ist Design. Aber wir nehmen auch Stellung zu aktuellen politischen Entwicklungen. Mit Blick auf queere Personen ist mir die Dringlichkeit des Themas nochmals extrem anschaulich geworden. Sie sind aufgrund ihres Looks öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt. Und das macht für mich nochmals klar, wie viel Politik in der Frage steckt, wie Kleidung gegendert ist. Wir können nicht länger von einem Oberflächenphänomen sprechen, denn Mode hat eben stark mit identitätspolitischen Fragen zu tun.

    Ermöglicht Mode Individualität?

    Katharina Tietze: Ich würde sagen, seit Georg Simmel – einem der ersten Soziologen, der sich mit Mode auseinandersetzte – hat Mode immer mit diesem Spannungsfeld zwischen Uniformierung und Individualisierung zu tun: sich zu einer Gruppe zugehörig zeigen, aber sich gleichzeitig auch von ihr absetzen wollen. Das offensive Kundtun einer individualisierten Position ist oft eine Pseudo-Individualisierung, denn effektiv sind wir viel uniformer, als wir eigentlich meinen.

    • Fotos aus dem Buch. Jonas Konrad: das neue blau, 2020
    Wie denkt ihr über Unisex-Mode?

    Anna-Brigitte Schlittler: Viele grosse Fashion Brands sind auf den Hype aufgesprungen. Irgendwann hat es allen gedämmert, dass sich Unisex-Kleidung an einem westlichen, männlichen Erscheinungsbild orientiert. Deshalb, glaube ich, ist der Trend auch wieder verebbt. Die darauffolgende Orientierungslosigkeit finde ich spannend.

    Lassen sich Gendernormen verlernen und was kann Mode dazu beitragen?

    Anna-Brigitte Schlittler: Ich denke, dass man durch eine Art von veränderter Wiederholung Normen hinterfragen kann. Wir sind hier an einer Kunsthochschule und wissen, Dinge lassen sich gestalten. Wir sollten nicht der Illusion anhängen, alles grundlegend anders und besser machen zu können. Wir können aber in unserem Tun – sei es im Spiel oder durch Provokation – Stück für Stück Sichtweisen verschieben; und dadurch werden Dinge möglich.

    Uns waren die jungen Stimmen wichtig, deswegen haben wir den Band auch so aufgebaut, dass er in der Gegenwart anfängt und dann zurückgeht.

    Katharina Tietze
    Im Band kommen auch junge Designforscher:innen von der ZHdK zu Wort. Mit welchen Themen haben sie sich beschäftigt?

    Katharina Tietze: Uns waren die jungen Stimmen wichtig, deswegen haben wir den Band auch so aufgebaut, dass er in der Gegenwart anfängt und dann zurückgeht. Laura Haensler und Larissa Holaschke haben sich mit der Frage des Pyjamas im Film beschäftigt. Aus meiner Sicht repräsentieren sie eine neue Generation von Designforschenden, die Gestaltung und Theorie miteinander verknüpfen. Sie beziehen mit grosser Selbstverständlichkeit auch soziale Medien oder Netflix als Quellen in ihre Forschung mit ein. Die beiden zeigen auf, wie wichtig auch das Digitale für die Auseinandersetzung mit Mode ist – insbesondere, wenn es um Mode als Alltagsphänomen geht.

    Ein Teil des Bandes beschäftigt sich aus kulturhistorischer Perspektive mit Mode und Gender. Dein Beitrag, Katharina, setzt sich beispielsweise mit der Textil- und Modeklasse der Kunstgewerbeschule Zürich auseinander. Was hat dich am Thema fasziniert?

    Katharina Tietze: Es ist für mich erstaunlich, dass sich die Kunstgewerbeschule – eine Vorgängerschule der ZHdK – von Anfang an sowohl an Männer als auch an Frauen richtete. Es gibt da eine spannende Ungleichzeitigkeit: In der Schweiz wird das Frauenstimmrecht erst spät eingeführt, aber Ausbildungseinrichtungen lassen Frauen bereits früh zu – dies gilt im Übrigen auch für die Universität Zürich. Deswegen kamen Frauen aus ganz Europa in die Schweiz, um hier zu studieren. Es wurden also sehr viele Frauen bei uns an der Schule ausgebildet. Und da interessiert mich, was wollten sie, was ist aus ihnen geworden, was haben sie im Studium gelernt? Und wer hat sie unterrichtet? Ich freue mich sehr, dass ich das Thema jetzt mit Kolleginnen in einem Forschungsprojekt vertiefen kann und dabei von der Zürcher Seidenindustriegesellschaft unterstützt werde. (mehr zum Forschungsprojekt: https://www.zhdk.ch/forschungsprojekt/quellen-erschliessen-die-textilklasse-der-kunstgewerbeschule-zuerich-606943)

    • Dekoratives Bild Dekoratives Bild
    Mit welchen Themen möchtest du dich in Lehre und Forschung in Zukunft tiefgehender beschäftigen, Anna-Brigitte? Welche Trends interessieren dich besonders?

    Anna-Brigitte Schlittler: Ich interessiere mich derzeit sehr für das Spannungsfeld von Mode und Politik. In den Debatten seit MeToo sind wir ein Stück weitergekommen, was Diversität oder Fragen von Identität angeht. Angesichts des drohenden Backlashs gilt es zu verteidigen, was wir schon erreicht haben, aber auch weiterzuführen und weiterzudenken. Ich überlege gerade, einen Beitrag zum Thema rechtsextreme Moden zu schreiben. Ich möchte mich hier auf die Schweiz fokussieren und die Aneignung von Brauchtum und Kleidung für rechtsextreme Zwecke anschauen. Und dann beschäftigt mich die Frage des postkolonialen Blicks auf Mode, also die Analyse der Verflechtung von Mode, Bekleidung und Textil mit der Kolonialgeschichte. Hier gibt es viel zu tun.

    Was ratet ihr insbesondere jungen Studierenden, die sich eingehender mit dem Themenkreis von Mode und Gender auseinandersetzen möchten?

    Katharina Tietze: Ich denke, es lohnt sich, nachzuvollziehen, wie Phänomene historisch entstanden sind. Es tut gut, Abstand zu nehmen, das Zeitgenössische etwas hinter sich zu lassen und auf Spurensuche in der Geschichte zu gehen. So lernen wir, Pionier:innen zu würdigen und machen womöglich Personen, Positionen sichtbar, die bislang zu wenig Beachtung gefunden haben. /// Anna-Brigitte Schlittler: «Mut machen» finde ich ein gutes Stichwort. Alles scheint im Moment so verfahren zu sein. Was können wir – Dozierende und Studierende – mit einem Designstudium denn überhaupt bewegen? Da bieten sich sowohl der historische Blick als auch der Blick ins Jetzt, in die Welt an. Wir stossen so auf mutige Menschen, die Vorschläge machen und sich nicht unterkriegen lassen.

    • Dekoratives Bild Dekoratives Bild

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    Die Buchvernissage zu «Mode und Gender» findet am Dienstag, 6. Mai 2025, um 19.15 Uhr im Medien- und Informationszentrum auf dem Toni-Areal statt.

    Hier geht es zum Buch im Open Access.

    Mehr zur Fachrichtung Trends & Identity.


    Katharina Tietze
    Katharina Tietze ist seit 2006 Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste und leitet dort die Fachrichtung Trends & Identity. Neben der Lehre forscht sie zum Thema Modegeschichte im Spannungsfeld von Alltagskultur und Identität.

    Anna-Brigitte Schlittler
    Anna-Brigitte Schlittler ist seit 2003 Dozentin für Designgeschichte und -theorie an der Zürcher Hochschule der Künste (Departement Design / Trends & Identity; Departement Kulturanalysen und Vermittlung / Art Education). Forschungsschwerpunkte sind Modedesign im industriellen Kontext sowie Mode und postkoloniale Theorien.


    Maike Thies
    Maike Thies ist Leiterin Kommunikation im Departement Design.

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