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    «Kunst ermöglicht es, Beziehungen zu schaffen»

    Aus dem Hochschulmagazin Zett

    Poet und Künstler Tarek Lakhrissi. Foto: Lee Wei Swee.

    Veröffentlicht am 08.01.2025

    Autor:in Eva Vögtli

    • Fine Arts

    Tarek Lakhrissi will mit seiner Arbeit Brücken schlagen und Empathie wecken.

    Deine Arbeit dreht sich um Themen wie Selbstfindung, persönliches Begehren und soziale Ausgrenzung. Woher kommt deine Inspiration?

    Alles hat mit meinen persönlichen Erfahrungen zu tun. Ich bin in Frankreich in einem Kontext aufgewachsen, in dem man als Person of Colour und als queere Person immer mit einem grossen Stigma behaftet ist. Künstler:innen müssen mit der eigenen Erfahrung beginnen, denn daraus entstehen eigene Kunstformen. Ich arbeite aber auch viel mit Fiktion. Queer und eine Person of Colour zu sein ist nicht alles. Wenn man sich zu sehr mit dieser Identitätspolitik beschäftigt, reduziert man den Diskurs. Ich möchte hingegen Verbindungen schaffen und Gespräche führen. Und ich habe grosses Interesse an Literatur, Sprache und Theater. Durch diese Inspirationsquellen schaffe ich Fantasiewelten und schlage Brücken, was der ganze Sinn meiner Praxis ist.

    Brücken zu Menschen mit ähnlichen Erfahrungen oder um Menschen mit anderen Erfahrungen zu erreichen?

    Zu allen. In der Fiktion und in der Sprache liegt eine Menge Macht. Indem man Informationen und Konzepte in Geschichten verpackt, öffnet man anderen Menschen Zugänge, die ihnen zuvor verschlossen waren. Ich möchte, dass auch andere Gemeinschaften meine Anliegen verstehen, Mitgefühl entwickeln. Wenn dies gelingt, hat das etwas Magisches – dann kann Kunst Unterschiede überwinden und einen Raum schaffen, in dem sich Menschen gesehen fühlen. Kunst ermöglicht es, Beziehungen zu schaffen.

    Du hast französische Literatur und Theater in Paris studiert. Jetzt arbeitest du mit Texten, Objekten, Filmen, Installationen und Performances - dein Werk ist sehr reichhaltig und vielfältig. Wie hat sich das entwickelt?

    Mein Interesse galt anfänglich dem Gesprochenen und der Frage, wie Sprache performativ wird. Ich denke dabei auch an queere Autor:innen, die sich mit der Konstituierung von Geschlechtern und performativen Handlungen beschäftigt haben. Ich interessierte mich für Linguistik, denn wer eine neue Sprache erlernt, erhält zugleich Zugang zu vielen Nuancen, welche die einzelnen Wörter mit sich bringen. Literatur ermöglichte mir den Zugang zu feministischen und queeren Theorien. Das war für mich bahnbrechend. Irgendwann fühlte ich mich dann aber durch Worte allein eingeschränkt. Ein Wort, ein Satz oder ein Text enthält zugleich eine Menge Farben, Formen und Materialitäten. Ich begann, künstlerisch zu arbeiten, mit Performance und Video. Dabei hatten Theater- und Tanzaufführungen einen grossen Einfluss auf mich. Auch in diesen Darbietungen werden mehrere Künste wie Gesang, Bühnenbild und Performance kombiniert. Das hat mich ermutigt, mit unterschiedlichen Medien zu arbeiten und somit verschiedene Welten und ihre Komplexitäten zu verschmelzen. Methodisch fand ich erste Inspirationen bei Bob Wilson, Adrian Piper oder Felix Gonzalez-Torres.

    Wir räumen dem, was wir als ‹hässliche Gefühle› bezeichnen, etwa Eifersucht, Traurigkeit und Wut, nicht viel Platz ein.

    Tarek Lakhrissi
    Melancholie ist ein Grundgefühl, das in deinem Werk immer wieder auftaucht. Es wurde auch im Ausstellungstext zu deiner Einzelausstellung «My Immortal» in der Mostyn Gallery in Wales 2021 erwähnt. Dort hiess es: «Für Lakhrissi ist die Melancholie wichtig, da sie einen Moment der Wahl bietet zwischen Selbstverteidigung und Zerstörung, zwischen der Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte.» Was war damit gemeint?

    In unserer Gesellschaft werden dauernd Gefühle wie Glück, Liebe und Fürsorge als erstrebenswert dargestellt. Wir räumen dem, was wir als «hässliche Gefühle» bezeichnen, etwa Eifersucht, Traurigkeit und Wut, nicht viel Platz ein. Solche Gefühle werden versteckt, anstatt sie zu zeigen. Als ich ein Teenager war, habe ich viel romantische Lyrik gelesen und mir Fernsehsendungen wie «Buffy the Vampire Slayer» angesehen, die zu einer meiner grossen Referenzen wurden. Damals fühlte ich mich von der Welt oft überwältigt und musste mir meine eigenen fiktiven Räume schaffen. Das zeigte mir, dass Melancholie eigentlich ein grossartiges und positives Gefühl ist, das mir erlaubt, mich mit mir selbst zu verbinden und Verstecktes auszudrücken. Melancholie ist ein Übergangsmodus. Sie bietet eine Möglichkeit, die Welt zu reflektieren, Negatives wahrzunehmen, Abstand zu gewinnen. Melancholie bedeutet, eigene Gefühle anzunehmen, zu träumen und dadurch magische Welten zu erschaffen. In Disney-Filmen gibt es immer wieder Momente, in denen Protagonist:innen zweifeln und leiden. Doch wenn sie Hindernisse überwinden, verwandeln sie sich auch. Ich würde sagen, dass es in meiner Arbeit oft um diese Art von Selbstverbundenheit, Selbstentdeckung und Selbstveränderung geht.

    Hat dies auch mit Nostalgie zu tun? Melancholie und ihre Referenzen zur Popkultur, Literatur, Poesie?

    Ich glaube nicht, dass ich sehr nostalgisch bin.

    Neben deiner erfolgreichen Praxis unterrichtest du auch an der ZHdK und an weiteren Kunsthochschulen. Du selbst bezeichnest dich jedoch als autodidaktischen Künstler, denn du hast nie an einer Kunstschule studiert. Kannst du dich dennoch mit den Studierenden identifizieren? Was beschäftigt junge Künstler:innen und Kunststudierende heute?

    Wir stammen beinahe aus derselben Generation und trotzdem sehe ich Unterschiede. Für mich war es wohl ein Segen, dass ich nicht mit den sozialen Medien aufgewachsen bin. Sie waren zwar da, aber viel weniger präsent als heute. Der Umgang mit dieser Informationsflut kann überwältigend sein – gleichzeitig muss man als junge:r Künstler:in ja hypersensibel sein. Ich erkenne mich selbst wieder in der Neugier und dem Verlangen nach Wissen, der Suche nach der eigenen Handschrift und dem Wunsch, die Welt zu verändern. Dozent zu sein ist für mich eine wunderbare Möglichkeit, mit jungen Künstler:innen in Kollaboration zu bleiben.

    Was war denn deine erste Erfahrung in der Kunstwelt?

    Ich habe mit dem französischen Kurator Vincent Honoré gearbeitet. Er war mein Mentor und hat mich 2017 zu einer seiner Shows eingeladen. Ich war sehr jung und fragte mich, was ich da tue. Ich habe ihm von meinen Sorgen erzählt. Und er hat mit dem französischen Wortspiel «apprendre» vs. «à prendre» geantwortet. Ich hätte nicht viel zu lernen, aber viel zu nehmen. Und dass ich das eines Tages verstehen würde. Das war sehr mysteriös. Aber ich mochte den Gedanken und er half mir, mit der Situation umzugehen. Heute ist mir bewusst, wie viel Arbeit in der Kunst steckt. Künstler:innen müssen sehr pragmatisch und bedacht sein. Wir müssen beständig daran arbeiten, dass die Konditionen stimmen, und unseren eigenen Platz einfordern. Disziplin ist unabdingbar. Darüber hinaus darf aber der Genuss nicht verloren gehen. Denn Künstler:in zu sein ist der schönste Beruf der Welt.

    • «Rising», 2024, Fassade des KANAL-Centre Pompidou, Brüssel. Foto: Pavo Marinovic.
    • «The End», 2023. Foto: Aurélien Mole.
    • «The Prelude The Hours The Kiss The End», 2023, Gallerie Allen, Paris. Foto: Aurélien Mole.
    • «Words Don't Go There», 2023. Kunstverein Braunschweig. Foto: Stefan Stark.
    • «Words Don't Go There», 2023. Kunstverein Braunschweig. Foto: Stefan Stark.
    • «Words Don't Go There», 2023. Kunstverein Braunschweig. Foto: Stefan Stark.
    • «Words Don't Go There», 2023. Kunstverein Braunschweig. Foto: Stefan Stark.
    • «My Immortal», 2021, Mostyn, Llandudno. Foto: Mark Blower.
    • «My Immortal», 2021, Mostyn, Llandudno. Foto: Mark Blower.

    Tarek Lakhrissi lehrt im Bachelor Fine Arts.

    Eva Vögtli ist Kommunikationsverantwortliche des Departements Fine Arts.

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      • Aus dem Hochschulmagazin Zett

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