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    «Ich sehe mich nicht satt»

    Aus dem Hochschulmagazin Zett

    Foto: Regula Bearth

    Veröffentlicht am 10.03.2024

    Autor:in Leoni Hof

    • Film
    • Campus

    Joël Jent schreibt Drehbücher, dreht Filme und doziert in der Fachrichtung Film. Eine Begegnung mit dem Filmemacher.

    Das Hörnli ums Eck, die sieben Churfirsten vor der Nase, ein 300-Seelen-Dorf im Toggenburg. Da wächst einer auf ohne Fernseher – und wird ausgerechnet Filmemacher. Trotzdem ist Joël Jent (*1983) heute dafür dankbar, dass ihn die Eltern damals zum Lesen angehalten und so die Grundlage zu einem vertieften Sprachverständnis gelegt haben. Was auch für den Film wichtig sei. Jent mag es, auf den Punkt zu kommen. «Film ist die Sprache, in der ich mich ausdrücken will, die Form, die ich für mich gefunden habe.» Während eines kurzen Intermezzos bei einer Zeitung lernt er, journalistisch zu schreiben. «Diese Prägnanz versuche ich beizubehalten. Drehbücher verlangen nach Genauigkeit. Es geht darum, einen Rahmen zu schaffen, der umreisst, was später im Szenenbild umgesetzt oder als emotionale Wandlung inszeniert wird, bis hin zur Strukturierung einer Szene oder – im Grösseren – der Geschichte und damit auch der Dramaturgie.»

    Wir haben vielleicht schon fast alles gesehen, aber noch nicht alles gefühlt.

    Joël Jent

    14 Jahre hat Joël Jent Kurz-, Dokumentar- und Spielfilme produziert. Darunter die preisgekrönten Filme «The Saint of the Impossible», «Baghdad in My Shadow» und der 3D-Dokumentarfilm «Iraqi Odyssey». Und der ZHdK-Abschlussfilm «Facing Mecca» von Jan-Eric Mack, den er produzierte, erhielt 2017 in Los Angeles den Student Academy Award (Silber). Das enge Timing und das viele Reisen hätten sich dann irgendwann mit seinem Familienleben gebissen: «Als Produzent löscht man ständig Feuer. Irgendwo brennt es immer.» Heute will er sich vor allem inhaltlich mit Stoffen auseinandersetzen und sich die Zeit dafür nehmen, ein Thema umfassend zu recherchieren und in die Tiefe zu gehen. Wenn dieses Heft erscheint, wird Jent gerade in den peruanischen Anden rund um Ayacucho drehen. In «Rebelión de la Memoria» soll es um den peruanischen Bürgerkrieg, um Menschen, die zu Tätern wurden, und den Prozess der Versöhnung gehen. Und wir sind mittendrin im Stoff, der den Filmemacher umtreibt. Jent interessieren soziopolitische Themen und psychologische Zwischentöne. Warum gerade das Medium Film? «Film hat eine Komplexität, eine Vielschichtigkeit, die uns auf verschiedenen Ebenen über unterschiedliche Sinne berührt. Das ist sein Mysterium.»

    • Filmstill aus «Rebelión de la Memoria». Zu sehen ist die peruanische Schauspielerin Magaly Solier. Filmstill aus «Rebelión de la Memoria». Zu sehen ist die peruanische Schauspielerin Magaly Solier.
    • Filmstill aus «Rebelión de la Memoria». Zu sehen ist die Protagonistin Tania. Filmstill aus «Rebelión de la Memoria». Zu sehen ist die Protagonistin Tania.

    Während des Studiums an der Universität Zürich bringt sich Jent das Handwerk dazu selbst bei. Probiert mit der Videokamera herum, als Mentor hat er den Kameramann Bruno Roth an der Seite. Es folgen erste Festivals, erste Auszeichnungen. Heute lehrt Jent im Studiengang Master of Arts in Film an der ZHdK. Er sagt: «Ich bin autodidaktisch zum Film gekommen und habe viel Zeit mit Prozessen verbracht, die ich mit mir selbst ausmachen musste. Ich freue mich, wenn ich die Studierenden unterstützen kann. Im vergangenen Herbstsemester habe ich ein Seminar zum politischen Film gegeben. Es ist aus dem Bedürfnis entstanden, dass ich dazu ermutigen möchte, Stellung zu beziehen. In einer Zeit, in der normative Fragen grossgeschrieben und viele dringliche Fragen über Stellvertreterdiskussionen abgehandelt werden, ist es naheliegend, davor Angst zu haben. Ich möchte Wege und Formen zeigen, wie es im Film möglich ist, innerhalb der eigenen Vision Stellung zu beziehen. Film ist ein diskursives Instrument. Film hat immer provoziert, aber auch hinterfragt.» Auf die Frage, was uns heute noch provozieren könne, ob wir nicht langsam wirklich alles gesehen hätten, antwortet er: «Wir haben vielleicht schon fast alles gesehen, aber noch nicht alles gefühlt. Beim Film kommt es wie beim Kochen auf die Rezeptur an, die Sequenzierung. Jeder Mensch hat eine andere Sichtweise, eine Summe von Erfahrungen, die nur seine sind. Insofern kann jede nuancierte Perspektive etwas zum Diskurs beitragen.»

    Spricht er über seine Projekte, ist da die Begeisterung des Teenagers, der das erste Mal ins Kino geht, um «Jurassic Park» zu sehen. Und danach Film um Film um Film. Als Gymnasiast sitzt Jent an jedem freien Nachmittag im Kino in Wil. Schaut alles, was da so läuft, von französischem Arthouse zu Gruselschockern und Blockbustern. Satt hat er sich bis heute nicht gesehen. Auch wenn er wie im vergangenen Herbst als Mitglied der Auswahlkommission der Solothurner Filmtage die gesammelten Werke eines Jahres Schweizer Filmschaffens sichtet. «Die Begeisterung lässt nicht nach, nutzt sich nicht ab. Kino ist und bleibt Magie.»

    • Am Set zu «Eating the Silence» von Joël Jent und Ali Al-Fatlawi. Fotos: Michel Gilgen, Aaron Film GmbH. Am Set zu «Eating the Silence» von Joël Jent und Ali Al-Fatlawi. Fotos: Michel Gilgen, Aaron Film GmbH.
    • Am Set zu «Eating the Silence» von Joël Jent und Ali Al-Fatlawi. Fotos: Michel Gilgen, Aaron Film GmbH. Am Set zu «Eating the Silence» von Joël Jent und Ali Al-Fatlawi. Fotos: Michel Gilgen, Aaron Film GmbH.

    Zweifel an seinem beruflichen Weg seien ausschliesslich ökonomischer Natur gewesen, wenn mal Förderanträge nicht bewilligt worden und so Projekte nicht zustande gekommen seien. Zum Stichwort Filmförderung sagt er: «Man sollte die Sparten abschaffen. Wir sind in einer Zeit innovativer, sich sehr schnell entwickelnder Formate. Das Fördersystem hinkt hier strukturell hinterher und versucht zu regulieren, was nicht reguliert werden will. Der Fokus sollte mehr auf der Verwirklichung der Ideen liegen. Mit flexiblen Modulen, die auf den Wandel und die Bedürfnisse der Filmindustrie reagieren. Ich wünsche mir viel mehr hybride, immersive und offene Formen. In diesen Bereichen entstehen gerade die spannendsten Geschichten.»

    Nach dem inzwischen abgedrehten Spielfilm «The Blind Ferryman», für den er als Co-Autor neben Regisseur Ali Al-Fatlawi fungierte, hat Jent das Drehbuch zu Samirs neuem Spielfilm «Stranger in a Village» verfasst, der im Winter 1951 in Leukerbad spielt und sich semifiktional der Liebesgeschichte zwischen dem amerikanischen Bürgerrechtler und Schriftsteller James Baldwin und seinem Schweizer Liebhaber Lucien Happersberger widmet. Parallel zu seinem Projekt in Peru schreibt er zusammen mit der ZHdK-Alumna Anna Thommen über toxische Männlichkeit im Kontext der sozialen Strukturen des Dorfes. Auch ein fiktionales Projekt mit dem Titel «Maloja» ist in der Pipeline. Es geht darin um eine Gruppe von Geflüchteten, die in die Schweiz finden und dort von reichen Schweizern, die ihre Jagdferien in einem Luxushotel verbringen, abgefangen werden. Die Feriengesellschaft macht Jagd auf Menschen. Als die Geflüchteten schliesslich das Hotel einnehmen und über die Reichen richten, wenden sie humanistische Werte an. «Mich interessiert die Werteumkehr. Ich glaube, eines der grössten Probleme unserer Gesellschaft ist, dass wir an die eigene, nicht nur moralische Überlegenheit glauben. Mich interessiert es, das gezielt herauszufordern. Mit Empathie als Instrument bewaffnet.»

    Als wir uns unterhalten, ist Winter, Kinozeit, darum holt man sich beim Experten noch eine Empfehlung ab: Welchen Film darf man auf keinen Fall verpassen? Jent schwärmt von «Blackbird Blackbird Blackberry» der in der Schweiz lebenden georgischen Regieperson Elene Naveriani, einem «zärtlichen Film mit intimen Bildern und fein gezeichneten Figuren». Und beendet unser Gespräch mit einer Hymne aufs Kino: «In einem dunklen Raum zu sitzen und dieses Erlebnis, die Emotionen mit einer Gruppe von Menschen zu teilen, die man nicht kennt. Ohne dass man sie einander aufdrängt. Ein Ort, an dem für kurze Dauer der soziale Status seine Bedeutung verliert. Wo ausser im Kino lassen sich noch solche Begegnungsräume in der Gesellschaft finden?»


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    Leoni Hof
    Leoni Hof co-leitet das Team Content und PR der Hochschulkommunikation.

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