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    «Dinge funktionieren selten auf Anhieb»

    Aus dem Hochschulmagazin Zett

    Fotos: Reto Togni, Stefan Villiger

    Veröffentlicht am 13.10.2024

    Autor:in Léa Ermuth

    • Design
    • Campus

    Reto Togni hat Industrial Design an der ZHdK studiert und ist heute als Postdoc an der ETH Zürich tätig. Im Interview spricht er über seinen Wechsel von Zürich nach London, seine Forschung an einem Handrollstuhl-Lenksystem und das Design Technology Lab.

    An einem der ersten Frühlingstage im April treffe ich Reto Togni auf der Dachterrasse des Toni-Areals. Zwischen Kirschblüten und grünen Knospen setzen wir uns an einen der Tische. Auf meine Frage, ob er sich im wissenschaftlich geprägten Umfeld der ETH Zürich als Künstler sehe, antwortet er mit einem herzhaften Lachen und schüttelt den Kopf. Er fügt hinzu, dass es durchaus einige Kolleg:innen gibt, die seine Methoden und seinen innovativen Forschungsansatz als künstlerisch empfinden, doch er selbst sieht sich als Designer und Wissenschaftler. Im Laufe unseres Gesprächs erzählt Togni von den verschiedenen Stationen seines Werdegangs und wie es ihn immer wieder zurück an die ZHdK zieht.

    • Reto Togni Reto Togni
    Léa Ermuth: Wie hast du den Übergang von der ZHdK zum Studium am Royal College of Art und am Imperial College in London erlebt?

    Reto Togni: In meiner Klasse waren wir 44 Studierende aus unterschiedlichsten Disziplinen – von Künstler:innen und Architekt:innen bis hin zu Informatiker:innen. Die Vielfalt an Methoden und Themen, die in diesem interdisziplinären Umfeld angewandt beziehungsweise diskutiert wurden, hat mich beeindruckt. Ein prägender Moment war das Erkennen meiner intuitiven Fertigkeiten im Industriedesign. Während sich Maschinenbauer:innen auf komplexe Simulationen verlassen mussten, konnte ich auf mein trainiertes Augenmass zählen. Eine Kompetenz, die ich im Industrial-Design-Studium in den Werkstätten der ZHdK erworben habe und die in der Praxis von unschätzbarem Wert ist – und vielen anderen komplett fehlt.

    An der ETH Zürich forschst du an einem Rollstuhl-Lenksystem. Wie funktioniert dieses System genau?

    Es handelt sich um einen mechanischen Handrollstuhl. Ein konventioneller Handrollstuhl funktioniert ähnlich wie ein Einkaufswagen oder ein Kinderwagen. Die «losen» Vorderräder richten sich nach der Bewegungsrichtung des Rollstuhls, während die «starren» Hinterräder die Richtung bestimmen. Die Räder sind unabhängig voneinander, sodass die Bewegungsrichtung durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Hinterräder bestimmt wird. Wenn beide Räder mit gleicher Geschwindigkeit drehen, bewegt sich der Stuhl geradeaus; dreht ein Rad langsamer als das andere, fährt er eine Kurve. Das Problem dabei ist, dass die Bewegungs- und Richtungskontrolle im Grunde immer mit Bremsen einhergeht. Möchte man eine Kurve fahren, ist es ähnlich wie beim Davoser-Schlitten: Man setzt den Fuss in den Schnee, um die Kurve zu machen, wird dabei aber langsamer. Besonders problematisch ist dies beim Geradeausfahren, da der Untergrund selten eben ist. Im Aussenbereich gibt es meist ein Gefälle, um Regenwasser abzuleiten. Auf Gehwegen ist dies besonders spürbar. Auch wenn das Quergefälle oft nur 2 Grad beträgt, bedeutet dies, dass die obere Hand bremst, während die untere schiebt. Dies ist relevant, da Langzeit-Rollstuhlfahrer:innen oft Schulterbeschwerden entwickeln. Bei meinem Ansatz wird eine Lenkung am Rollstuhl angebracht. Ähnlich wie bei einem Autolenkrad kann man die Richtung bestimmen, ohne bremsen zu müssen.

    Was für Vorteile hat dieses Lenksystem gegenüber gängigen Handrollstühlen?

    Als Lenkrad fungiert die Rückenlehne: Neigt man sich nach rechts, fährt der Rollstuhl nach rechts und umgekehrt. Dies ist besonders auf Gehwegen wichtig, denn wenn man gerade sitzt, fährt der Rollstuhl geradeaus, unabhängig von der Beschaffenheit des Untergrunds. In Laborversuchen haben wir festgestellt, dass wir mit unserer Lenkung für denselben Testparcours nur halb so viel Energie benötigen wie mit der herkömmlichen. Viele Leute empfinden dieses Lenksystem als angenehmer, da es sich flüssiger und dynamischer anfühlt. Praktiker:innen schätzen besonders, dass sie den Rollstuhl einhändig steuern können, indem sie mit dem Oberkörper die Richtung bestimmen. So ist es beispielsweise möglich, einen Kaffee zu halten und gleichzeitig zu fahren.

    • Das neuartige Handrollstuhl-Lenksystem bei Feinjustierungen im Spital Domus Salutis in Brescia, Italien ... Das neuartige Handrollstuhl-Lenksystem bei Feinjustierungen im Spital Domus Salutis in Brescia, Italien ...
    Deine Forschung am Rollstuhl-Lenksystem führt dich immer wieder zurück in die Fachrichtung Industrial Design an der ZHdK. So wurde dein System in einer Diplomarbeit für einen Basketball-Rollstuhl verwendet. Gibt es noch andere Diplomprojekte im Industrial Design, an denen du beteiligt bist?

    In einem aktuellen Diplomprojekt steht die Entwicklung eines anpassbaren Designs für eine Sitzschalen-Rückenlehne im Fokus. Ein Rollstuhl stellt in Bezug auf die Anpassung eine Herausforderung dar. Es gibt unterschiedliche Sitzhöhen hinten und vorne sowie diverse Sitzbreiten und Sitztiefen. Hinzu kommen verschiedene Rückenlehnenwinkel und -höhen, Raddurchmesser und Unterschenkellängen. Wendet man ein wenig Kombinatorik an, ergeben sich schnell weit über tausend Varianten desselben Produkts. Das bedeutet, dass ein Rollstuhl tatsächlich eine Massanfertigung ist.

    Ist das ein Grund, weswegen ein Rollstuhl so teuer ist?

    Das ist der grosse Kostentreiber. Ein potenzielles Problem meiner Forschung könnte die Einführung neuer Parameter sein, wie zum Beispiel die Reaktionsgeschwindigkeit der Lenkung, der Radius der engsten Kurve, die man fahren kann, oder das Ausmass der Unterstützung, die man erhält. Wenn wir diese Parameter hinzufügen, steigt die Zahl der Varianten eines Rollstuhls von 1500 auf 27 000, was wirtschaftlich nicht tragbar ist. Der Ansatz in der Diplomarbeit besteht darin, die Mechanik und die Lenkung in einen standardisierten Rahmen zu integrieren. Dieser Rahmen bleibt immer gleich, während der Sitz darauf individuell angepasst werden kann und Anpassungen aller Art somit möglich sind.

    Das iterative Arbeiten und das Überprüfen anhand von Prototypen sind essenzielle Methoden, um Verbesserungen vorzunehmen.

    Reto Togni
    So ist bloss ein Teil individuell anpassbar und nicht der komplette Rollstuhl.

    Genau, ich schaue mir manchmal die Ersatzteilkataloge von Rollstuhlfirmen an und frage mich: Warum gibt es so viele verschiedene Varianten für jedes einzelne Teil? Das ist wahnsinnig kompliziert und treibt die Kosten in die Höhe. Wenn wir Erfolg mit meiner Lenkung haben möchten, dann gelingt dies nur, wenn der Prozess vereinfacht wird – sonst wird die Sache nur noch komplizierter.

    Wird das Resultat der Diplomarbeit für deine Forschung an der ETH Zürich verwendet?

    Ich hoffe es. Es wäre cool, wenn wir Resultate hätten, auf denen wir aufbauen könnten.

    Welche Methoden oder Prozesse, die du an der ZHdK gelernt hast, wendest du an der ETH Zürich an?

    Das iterative Arbeiten und das Überprüfen anhand von Prototypen sind essenzielle Methoden, um Verbesserungen vorzunehmen. Scheitern und das schnelle Konstruieren von Prototypen sind dabei unerlässlich. Es ist effektiver, drei Modelle rasch zu bauen, als lange zu planen und dann ein Modell herzustellen, das nicht funktioniert. Meine Erfahrung im Design hat mir gezeigt, dass Dinge selten auf Anhieb funktionieren.

    Das ist auch meine Erfahrung: Im Designprozess macht man immer zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück.

    Man antizipiert es auch. Wenn ein Scheitern absehbar ist, versucht man, es gleich am Nachmittag zu provozieren, denn so gewinnt man bereits beim ersten Versuch wertvolle Erkenntnisse und hat etwas dazugelernt.

    • … und beim Praxistest in der Einkaufsstrasse. … und beim Praxistest in der Einkaufsstrasse.
    Gibt es ein Projekt, das an der ZHdK entstanden ist und für deinen weiteren beruflichen Werdegang entscheidend war?

    Die Arbeit im Design Technology Lab war für mich prägend. Bei der Gründung des Labors stand die Vision im Vordergrund, einen Ort zu schaffen, an dem Maschinenbau und Industriedesign parallel arbeiten. Fragt man Maschinenbauingenieur:innen nach dem Produktentwicklungsprozess, verweisen sie auf das Engineering, also Bedarfsanalyse, Konzeptfindung, Morphologie, Ausarbeitung, Simulation und so weiter. Erst am Ende des Prozesses kommt das Design ins Spiel: Das Logo muss platziert, die Farbe ausgewählt werden. Designer:innen hingegen sehen zuerst das Konzept, dann die Modelle und so weiter, und am Ende müssen die Ingenieure das Produkt funktionsfähig machen. Tatsächlich sind beide Ansätze unvollständig. Es wäre von Vorteil, wenn die Prozesse parallel laufen, also auch gleichzeitig beginnen und enden. Genau das ist die Grundidee der Tandemprojekte, die im Design Technology Lab realisiert werden. Hier arbeiten ZHdK-Studierende der Fachrichtung Industrial Design gemeinsam mit Maschinenbau-Studierenden der ETH. Die Projekte sind für beide Seiten von grossem Nutzen.

    Welche Bedeutung hat die ZHdK für Innovationen im Design?

    Vor ein paar Jahren hat der «Tages-Anzeiger» über die Diplomausstellung geschrieben: «Goldgrube der guten Ideen». Das finde ich nach wie vor passend. Die ZHdK ist eine Quelle neuer Impulse im Designbereich.

    Fotos: Reto Togni, Stefan Villiger

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    Mehr Informationen: Bachelor und Master in Industrial Design


    Léa Ermuth
    Léa Ermuth ist Junior Kommunikationsverantwortliche des Departements Design.

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