- Lea Ingber: Was motiviert dich dazu, ein Haus aus dem frühen 18. Jahrhundert zu restaurieren?
Vera Marke: Ich erachte es als respektlos, wenn alte Häuser abgerissen werden und Kulturerbe verschwindet. Gerade in der heutigen Zeit, in der Fragen zu Nachhaltigkeit, Umgang mit Ressourcen und CO₂-Bilanzen virulent sind. Deshalb möchte ich den Beweis antreten, dass historische Häuser mit künstlerischen Mitteln neu belebt und der heutigen Zeit entsprechend
ausgestaltet werden können. Dazu nutze ich mein Wissen über Materialität und erweitere dieses durch meine Forschungstätigkeit laufend.
- Du restaurierst das Gebäude wie ein Bild. Wie gehst du dabei vor?
Ich denke die Materialität der Bauzeit mit, indem ich historische Techniken theoretisch und praktisch erforsche und am Objekt anwende. Ich habe beispielsweise den hundertjährigen Anstrich in der Stube gereinigt und Fehlstellen retuschiert, ähnlich wie man das bei der Restaurierung von Gemälden macht. Dabei habe ich die originalen Pigmente verwendet, die den Anstrich transparent erscheinen lassen. Heutige Anstriche sind dagegen deckend und verengen den Raum. Das ist ein Paradigmenwechsel im Umgang mit historischen Anstrichen, der in Fachkreisen Aufsehen erregt hat.
- Welche Rolle spielt Farbe dabei?
Farbe ist gleichzeitig Materie, Licht und Raum. In diesem Projekt kann ich die Farbigkeit im architektonischen Raum manipulieren. Wenn zum Beispiel ein Anstrich an einer Decke glänzt, reflektiert er das eintretende Licht und erhellt den Raum. So wird das Haus zum begehbaren Gemälde.
- Du unterrichtest seit 2016 an der ZHdK. Hat sich das Verhältnis der Studierenden zu Materialien in dieser Zeit verändert?
Anfangs haben viele Studierende mit Acryl gemalt, ohne zu wissen, dass dies ein Kunststoff ist. Heute stelle ich ein Interesse für die ganze Vielfalt an Möglichkeiten fest. Die Studierenden möchten vermehrt verstehen, woraus Farbe zusammengesetzt ist. Das geht so weit, dass einzelne aus Erden oder Steinen selbst Pigmente herstellen, um damit Farbe anzureiben. Gut möglich, dass die Freude am Haptischen eine Gegenbewegung zur Digitalisierung darstellt.
- Was willst du den Studierenden vermitteln?
Mir ist es wichtig, dass die Studierenden durch entsprechende Vermittlung ein Bewusstsein für Materialien entwickeln. Sie
sollen zum Beispiel wissen, was Leinöl ist, wie es sich beim Malen verhält und dass es dank Oxidation und Polymerisation
trocknet. Dieses Wissen beeinflusst ihre Praxis. Die Auswahl an industriell gefertigten Malutensilien ist riesig. Wie bei Esswaren sind darunter viele Convenience-Produkte, die ganz einfach und günstig selbst hergestellt werden könnten. Ich möchte darauf hinwirken, dass die Studierenden kritische Konsument:innen werden.