Strukturveränderung

    KI stellt die Bildungsdiskussion auf den Kopf – Schulen und Lehrpersonen müssen darauf reagieren. Die Leiterin E-Learning Charlotte Axelsson und die Co-Leiterin Musikpädagogik Ruth Frischknecht erörtern Wirkungen und Perspektiven des digitalen Lernens.

    von Leoni Hof
     

    Foto: Ruth Frischknecht und Charlotte Axelsson
    Ruth Frischknecht (links) und Charlotte Axelsson beschäftigen sich mit den Implikationen von KI für die Lehre. Foto: Regula Bearth.

    Überraschung

    Ruth Frischknecht: Mich hat am meisten überrascht, wie schnell die KI-Technologie durch alle möglichen Gruppierungen und Peers gegangen ist. Egal, ob auf beruflicher oder privater Ebene. Die spielerische Erstkontaktfreude ist aber auch schnell verflogen und Langeweile aufgekommen. Was mich auch überrascht, ist, wie die KI vermenschlicht wird. „ChatGPT kann dies, ChatGPT macht das …“

    Charlotte Axelsson: Dieser Anthropomorphismus hat mich ebenfalls überrascht. Dass sich ChatGPT etwa entschuldigt, ist doch äusserst höflich, oder? Es hat menschliche Attribute antrainiert bekommen. Denn es geht ja nicht nur darum, was wir mit der Technologie machen, sondern auch darum, wie diese uns antwortet.

    Konvention

    Frischknecht: Und doch ist KI ein paradoxes Phänomen: Wir haben etwa Musiklektionen damit vorbereitet, Songtexte schreiben lassen – wir arbeiten mit der modernsten Technologie, und was dabei herauskommt, sind konventionelle Lösungen. Die Erwartungen waren zu Beginn natürlich sehr hoch. Aber wenn für ein Ergebnis das Wahrscheinlichste zusammengerechnet wird, kommt Konventionelles heraus.

    Axelsson: Was vielleicht auch mit der Zugänglichkeit für die Allgemeinheit zu tun hat. ChatGPT oder auch das Internet sind nur Spiegel der Gesellschaft, in der wir uns bewegen. Zum Stichwort Konventionen fällt mir das Thema Regulierung ein. Müssen wir das Internet in zwei Jahren rebooten, weil es zu konventionell geworden ist? Wie bekommen wir Innovationen in den Einheitsbrei rein? Die Daten, mit denen ChatGPT gefüttert wird, werden ja vorher gereinigt, zensiert. ChatGPT ist auf den ersten Blick politisch korrekt und fehlerlos.

    Frischknecht: Bei Motivationsschreiben fällt uns diese glatte Oberfläche auf. Wir beginnen zu erkennen, was KI-Style ist.

    Intelligenz

    Axelsson: Wie schlau wir Menschen doch sind. Die Technologie ist erst seit einigen Monaten für uns greifbar und schon entwickeln wir ein Gefühl dafür, was von ChatGPT geschrieben wurde.

    Frischknecht: Bilder sind für mich die grössere Herausforderung.

    Axelsson: Für mich zeigt sich gerade dort die Notwendigkeit dafür, dass Schulen endlich visuelle und gestalterisch ästhetische Fächer stärker pushen. Wir müssen lernen, Bilder so zu lesen, wie wir Buchstaben lesen können.

    Frischknecht: In den 1980er-Jahren ging es bei der Diskussion ums Thema Intelligenz um deren Facettenreichtum. Dieser war zwar nicht empirisch belegt, aber für die Diskussion sehr belebend. Jetzt kommt KI und wir sprechen wieder über diesen Begriff. Wir dröseln auf und vergleichen: Was kann der Mensch, was leistet die Maschine? Es wäre vielleicht gut, wieder diese multiplen Intelligenzen mitzudenken, weil in diesen ein ganzheitlicher Anspruch steckt.

    Intuition

    Axelsson: Intelligenz hängt für mich stark mit Intuition zusammen, und man kann auch eine digitale Intuition aufbauen und erlernen, die sich etwa darin zeigt, dass man KI-generierte Bilder oder Texte einfacher erkennt oder mit einer unbekannten Software intuitiv umgeht. Das ist eher ein Bauchgefühl, das wahrscheinlich auf erlernten Kompetenzen aufbaut, als eine Kompetenz.

    Frischknecht: Etwas intuitiv anzugehen ist eine eigene, nur den Menschen zugesprochene Fähigkeit. Im Unterricht ist das wichtig, weil wir vieles auch intuitiv entscheiden. Wie kann man üben, sich der eigenen Intuition sicherer zu sein?

    Axelsson: Im Analogen haben wir eine sehr gute Intuition, wir müssen diese nun auch im Digitalen schärfen.

    Frischknecht: Ich denke, wir müssen sie auch im Analogen wieder etwas schärfen. Auf uns selbst vertrauen, bevor wir uns digitale Hilfe holen.

    Konsum

    Frischknecht: In diesem Kontext erscheint mir der Begriff Konsum interessant. Der deutsche Komponist Bernhard König hostet einen Podcast, in dem er das Musizieren mit Klimaschutz und Umweltbewusstsein verbindet. Er stellt fest, dass es für uns eine Selbstverständlichkeit ist, den digitalen Raum zu nutzen. Wir sind uns aber nur marginal bewusst, dass das Ressourcenarbeit braucht. Eine Antwort zu generieren braucht Serverkapazitäten. Der Begriff Konsum beinhaltet für mich auch, dass wir mit all den Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben, bewusster umgehen müssen.

    Axelsson: Konsum hat immer auch mit Nachhaltigkeit zu tun. Ich konsumiere etwas und dadurch bin ich entweder nachhaltig oder ich bin es nicht. Wir konsumieren Wissen auf eine neue Art und Weise. Bei den digitalen Medien wissen wir oft nicht, was wir konsumieren. Welche Art von Wirtschaft dranhängt oder was für eine Infrastruktur. Parallele Strömungen lassen sich etwa in der Mode beobachten. Im ganzen Bereich der „Ultra-Fast Fashion“. Auf Portalen, auf die täglich Unmengen billiger Kleidung geschmissen werden. Tools wie ChatGPT, TikTok oder Snapchat sind für mich „Ultra-Fast AI“. Ich will schneller konsumieren. Das, was dahintersteht, ist mir nicht so wichtig. Konsum kann durchaus etwas Schönes sein, aber zurzeit entwickelt sich da eine Dynamik auf Steroiden. Das ist absurd und führt dazu, dass wir uns nicht mehr auf uns selbst konzentrieren können.

    Frischknecht: Konsum geschieht ausserhalb von mir.

    Axelsson: Vor der Technologie selbst habe ich gar nicht so grossen Respekt, eher vor dieser Konsumhaltung. Die taucht in einer Zeit auf, in der wir uns eigentlich darauf besinnen sollten, was und wie wir konsumieren.

    Erleichterung

    Axelsson: Gleichzeitig erleichtert es mich, dass nun auch in der Allgemeinheit erkannt wird, dass Digitalität umfassend ist und uns alle betrifft. Nach der Pandemie gab es eine extreme digitale Müdigkeit. Oft kam von Lehrenden der Einwand: „Wozu brauche ich das E-Learning? Ich unterrichte doch nicht mehr auf Zoom.“ Dabei ist Zoom nicht gleichbedeutend mit digitalem Unterricht, sondern nur ein Kommunikationstool. Und wir stellen uns die Frage, wie wir einen wirklich nachhaltigen digitalen Unterricht entwickeln können, um den folgenden Generationen diese digitale Intuition zu vermitteln.

    Frischknecht: Gleichzeitig wird uns die KI gewisse repetitive Tätigkeiten abnehmen – sie nimmt uns sogar die Initialarbeit ab. Ist das eine Erleichterung? Wir lassen uns einen ersten Vorschlag generieren, den wir dann verändern. Vielleicht führt uns das zu neuen Umgangsformen, die wir so noch gar nicht kennen.

    Weiterhören
    Im Podcast Musik und so weiter sprechen Ruth Frischknecht und Dennis Bäsecke, beide sind Dozierende der Musikpädagogik, mit ihren Gästen über Musik und Musiklernen. In der Folge mit Charlotte Axelsson geht es um den Begriff des Lernens im Zusammenspiel von menschlichen Begegnungen und digitalen Tools. 

    Charlotte Axelsson
    Charlotte Axelsson leitet das E-Learning im Dossier Learning & Teaching.

    Ruth Frischknecht
    Ruth Frischknecht ist Co-Leiterin Musikpädagogik im Departement Musik. 

    Leoni Hof
    Leoni Hof co-leitet das Team Content und PR der Hochschulkommunikation der ZHdK.