Laboratorio Laguna – Artistic PhD on Sail

    Wie gestaltet sich eine künstlerische PhD-Akademie? Florian Dombois, Leiter des Forschungsschwerpunktes Transdisziplinarität, skizziert ein lebendiges Bild davon, wie künstlerisch Doktorierende der UdK Berlin, der Uniarts Helsinki, der Kunstuniversität Linz und der ZHdK im Sommer 2023 in Venedig zusammenkamen: von der Allgegenwart der Gezeiten bis zur Dringlichkeit der Klimakrise. 

    Von Florian Dombois
     

    Foto: Giulia Mazzorin
    Foto: Giulia Mazzorin

    Wir brechen noch vor Sonnenaufgang auf, denn heute morgen fällt die Ebbe besonders tief und damit ist die Sandbank Bacan vor Venedig weitflächig trocken. Auf unseren kleinen Booten fahren wir aus der Stadt hinaus und nutzen die Strömung des auslaufenden Wassers zum Bocca di Porto di Lido, einer der drei Öffnungen der Lagune. Unsere Gruppe setzt sich aus Promovierenden und PhD-Betreuenden mit Hintergründen in Bildender Kunst, Musik, Architektur, Performance und Design zusammen: Wir sind ein gutes Dutzend Kunstschaffende, die mit wachem Auge und ganzem Körper die Welt in uns aufnehmen. Wir begeben uns in eine Zone der Ungeklärtheit zwischen Wasser und Land, zwischen Natur und Kultur, zwischen Geschichte und Zukunft. 

    Auf der Bacan ziehen wir uns an Land und legen die Anker in den Sand, damit das einlaufende Wasser uns die Boote nicht stiehlt. Wir lernen von den Fischern, dass sich die Blue Crabs, eine invasive Krabben-Spezies, ausbreiten, dass wir sie fangen und kochen sollen, weil sie die heimischen Muscheln auffressen. Die meisten Krabben finden wir im Seegras, wir sammeln sie in Eimern, so wie auch die Venezianer, die an diesem Morgen auf die Sandbank gekommen sind. Die Sonne steigt aus dem Horizont und spiegelt sich in den Weiten des flachen Wassers. Gegen neun Uhr hat sich die Flut das meiste Land genommen, und wir steigen wieder auf unsere Boote, zurück in die Stadt zu unserer Wassertür. Hier laden wir die Krebse aus, hier an der Schwelle zwischen Wasser und Land. Später am Abend wird der Gouverneur vor der Presse den Blue-Crab-Notstand ausrufen, genau heute. Und in den folgenden Tagen entdecken wir die Blue Crabs auf den Menükarten der umliegenden Restaurants. 

    Foto: Florian Dombois
    Foto: Florian Dombois

    «Sensing the Planet»

    (Xi Lei, Künstler und Forscher, wohnt in Linz, Österreich, und Changshu, China) 

    Als wir den Süden der Lagune erreichen, bringt Xi Lei, PhD-Kandidat der Kunstuniversität Linz, unsere vielfältigen Eindrücke auf die Formel: «Sensing the Planet». In Venedigs Lagune lässt sich nicht nur eine vom Meeresspiegelanstieg bedrohte Kulturmetropole erfahren, sondern auch die Vielfalt und Fragilität unseres Planeten. Auf vergleichsweise engem Raum begegnen sich unterschiedliche Ökosysteme und Kulturräume, geben sich Salz- und Süsswasser die Hand, bilden sich Inseln und verschwinden wieder und lässt uns die Sonne dieses Jahr leiden unter ihrer ungebremsten Hitze. Denn auch wir sind fragil, ohne Klimaanlage, direkt in der Landschaft, auf den Booten, im Wasser, bei den Gemüse-Bauern auf San Erasmo oder beim Muschelzüchter in Pellestrina. Und wir müssen uns ermahnen, diese Erfahrungen nicht unter dem Bild des Abenteurers zu denken, sondern uns wirklich einzulassen auf das Hier und Jetzt, das Neue aus dem Raum der Aufregung in einen Raum der hingebungsvollen Erfahrung und Empathie hinüberzulenken. 

    Foto von Sinead Mc Cormick
    Foto: Sinead Mc Cormick

    «Venice as a Method, not as a Topic»

    (Biennale Urbana, U5 und Florian Dombois) 

    «Venice as a Method» lautet einer unserer Leitsätze. Es ist die Methode, nicht das Thema, das uns zusammenbringt. Und von dort, von den in Venedig gemachten Erfahrungen aus müssen wir die individuelle, künstlerische Forschungsarbeit anschliessend re-justieren. Wir bewegen uns auf kleinen Segel-Jollen, die keinen Ruhepunkt bieten, sondern deren Stabilität man ständig mit dem eigenen Körper gegenüber Wind und Wellen herstellen muss. Und dieses ständige Balancieren erfolgt im Abgleich mit der Mannschaft und im Hinblick auf unsere Flotte mehrerer Boote. Wir lernen den Wind und die Tide als unkontrollierbare Grössen zu akzeptieren. Die Flut erlaubt uns, unsere Boote zu wassern, die Ebbe ermöglicht das Fischen von Muscheln. Wir studieren die Formen der Kanäle, die sich entlang der Strömungseigenschaften in die Lagune schreiben und damit bis heute die Besiedlung vorgeben. Denn Venedig ist Geo-Engineering, es ist ein «Naturecultures»-Raum, der schon vor der Renaissance und ihrer Begeisterung für geometrische Bauformen angelegt wurde. In Venedig begeben wir uns in den ewigen Strom von Ebbe und Flut, von Winden und Flauten, von Erosion und Ablagerung, und suchen uns situativ einen Weg. Und wir machen das nicht alleine, sondern im Ensemble mit unseren Künstlerkolleginnen und -kollegen. Wir versuchen, uns zu synchronisieren in unseren unterschiedlichen Temporalitäten, Wünschen und Möglichkeiten. 

    Foto: Detail aus Jacopo Tintoretto: Creazione degli animali (1550-1553)
    Detail aus Jacopo Tintoretto: Creazione degli animali (1550-1553)

    Cooperation is Key

    Auch bei der Synchronisierung ist uns die Republik Venedig Inspiration, die im fünfzehnten Jahrhundert einen ungeheuren Beschluss fasste: die Lagunen-Flüsse aus den Bergen weiträumig umzuleiten. Sie traf diesen generationenübergreifenden und kostenschweren Beschluss als demokratische Gemeinschaft. Und das wurde allein dadurch möglich, dass die Einzelnen ihre Wünsche und Vorteile zurückhielten und ihre Kräfte bündelten für die gemeinsame Erhaltung der Lagune. Es ist klar, dass auch wir im Umgang mit der Klimakrise nach solch einer Lösung suchen wollen, suchen müssen. 

    Mehr zum Projekt «Laboratorio Laguna»
    Laboratorio Laguna ist ein Projekt der Kollektive Biennale Urbana und U5 sowie Florian Dombois, der an der ZHdK das Doktoratsprogramm Transdisciplinary Artistic PhD initiierte und jetzt zusammen mit Marcel Bleuler, Karmen Franinovic, Anton Rey, Germán Toro Pérez sowie Laura von Niederhäusern leitet. Die PhD-Akademie findet jedes Jahr in Venedig statt und wird getragen von der UdK Berlin, Uniarts Helsinki, Kunstuniversität Linz und der ZHdK, die jeweils drei künstlerisch Doktorierende entsenden. Vom 14.8. bis 3.9.2023 fand die erste Ausgabe statt, die nächste folgt vom 7. bis 28.9.2024. 

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