Selbstständigkeit im Denken, Liebe zum Thema

    Die PhD-Absolventin Julia Wolf und der PhD-Absolvent Kai Ziegner berichten von ihren Erfahrungen in der Abschlussphase ihres Doktoratsprojekts. Sie geben Einblicke in ihr Leben zwischen Zürich, Linz und Helsinki und erzählen, woraus sie ihre Kraft geschöpft haben. Warum dem Schreiben einer Promotion nicht mit Resilienz beizukommen sei, erklärt Judith Siegmund, PhD-Programmverantwortliche und Doktoratsbetreuerin.

    dekoratives Bild
    Kai Ziegners PhD-Projekt «Eine Geschichte der Gewalt» untersucht durch experimentelles Schreiben und konzeptuelle Fotografie die Folgen gesellschaftlicher Transformationsprozesse in der DDR.

    «Es war ein Marathon, aber ich bin froh, diesen Weg gegangen zu sein.»

    Kai Ziegner, PhD-Absolvent

    An der ZHdK arbeiten aktuell rund 85 Doktorierende an einem künstlerischen, wissenschaftlichen oder künstlerisch-wissenschaftlichen Doktoratsprojekt. Dieses führen sie entweder individuell oder in einem der sechs PhD-Programme durch, die im Rahmen von Kooperationen mit (inter-)nationalen Hochschulen stattfinden. Die PhD-Absolventin Julia Wolf und PhD-Absolvent Kai Ziegner sind diesen Weg gegangen. Ziegner sagt darüber: «Es war ein Marathon, aber ich bin froh, diesen Weg gegangen zu sein.» Neun Jahre pendelte er für seinen PhD zwischen Zürich, Linz und Helsinki, lebte mit seiner Familie aber in Berlin: «Mit Mitte 30 ging das, mit über 40 und zwei kleinen Kindern wurde es zur Last. In meinem Abschlussjahr wurde ich plötzlich krank. Kurz vor Weihnachten sass ich dann doch an der Vorbereitung meiner Verteidigung und schrieb am Ende sieben Versionen davon. Ich erlebte den ersten Zusammenbruch meines Lebens und wollte alles hinschmeissen.» Seine Frau habe ihm geraten, sein Leben nicht vom Doktorat dominieren zu lassen. In einem Coaching lernte Kai schliesslich Techniken zur Stressregulation. Mit einer Therapeutin arbeitete er an persönlichen Themen, zusätzlich intensivierte er sein Yogatraining. «Schliesslich habe ich meine Forschungsarbeit an der Kunstuniversität Linz verteidigt und das Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Es war absurd – über Jahre hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet und dann sprach ich online nur mit kleinen Kacheln auf meinem Bildschirm.»

    Foto: Materialien zu Petrit Halilaj, Julia Wolf in Vorbereitung ihrer Dissertation «Re-Visioning Histories in der Gegenwartskunst.
    Materialien, die Julia Wolf zur Vorbereitung ihrer Dissertation «Re-Visioning Histories in der Gegenwartskunst. Die Arbeiten von Hiwa K und Petrit Halilaj» nutzte.

    «Neben anderweitigen Arbeitsverpflichtungen während der Abschlussphase hiess es, eigene Ressourcen wie Durchhaltevermögen, Wandlungsfähigkeit und Strapazierfähigkeit immer wieder auszuloten und zu lernen, mit ihnen sorgsam umzugehen.»

    Julia Wolf, PhD-Absolventin

    Julia Wolf verbindet mit dem Abschliessen eines mehrjährigen Projekts wie der Dissertation das Gefühl von Mut. Diese Phase bedeutete für sie, letzte Rückmeldungen für das eigene Buch zu sammeln – aber auch manches davon beiseitezulassen. «Neben anderweitigen Arbeitsverpflichtungen während der Abschlussphase hiess es, eigene Ressourcen wie Durchhaltevermögen, Wandlungsfähigkeit und Strapazierfähigkeit immer wieder auszuloten und zu lernen, mit ihnen sorgsam umzugehen. Dabei waren neben meinen Mentorinnen Sigrid Adorf und Elke Krasny auch andere soziale Bezugspunkte, wie meine Familie, Freundinnen und Freunde und weitere Unterstützende wichtig.» Auch die räumlichen Bedingungen an den Forschungs-Arbeitsplätzen halfen dabei durchzuhalten. «Ich hatte das Glück, gute Begleiterinnen und Begleiter zu haben, die mich unterstützten, mich mit Konfetti überraschten und mit mir die Sorgen und am Schluss vor allem auch die Freude teilten.»

    «Die Arbeit an einem Promotionsthema und der Abschluss einer Promotion erfordern Selbstständigkeit im Denken und Handeln, Liebe zum Thema und ein starkes Interesse an diesem. Sie erfordert den Willen, selbstgefundene Probleme zu lösen und die Absicht, all dies mit anderen Menschen zu teilen.»

    Prof. Judith Siegmund, PhD-Programmverantwortliche und Doktoratsbetreuerin

    Die PhD-Programmverantwortliche und Doktoratsbetreuerin Prof. Judith Siegmund verbindet ein Promotionsvorhaben und dessen Abschluss gerade nicht mit dem Begriff Resilienz. Seine Interpretation als psychische Widerstandsfähigkeit, Niederlagen zu verkraften, deutet sie als negatives Szenario: «Die Arbeit an einem Promotionsthema und der Abschluss einer Promotion erfordern dagegen Selbstständigkeit im Denken und Handeln, Liebe zum Thema und ein starkes Interesse an diesem. Sie erfordert den Willen, selbstgefundene Probleme zu lösen, und die Absicht, all dies mit anderen Menschen zu teilen.» Gleichzeitig sei die Arbeit an einer Dissertation aber auch mit der Unsicherheit verbunden, ob die eigene Perspektive, die eigenen Fragestellungen so wichtig seien, wie dies einem selbst erscheine. Ob andere jemals verstehen würden, wie das zu erforschende Problem sich verhalte und ob es für die geleistete Arbeit überhaupt Anerkennung gebe. «Mit Resilienz ist einer solchen Herausforderung meiner Ansicht nach nicht beizukommen, sondern eher mit Langmut, Geduld, Fleiss und Zweifel, mit Genauigkeit, Verbindlichkeit und auch Offenheit.»