Die Branche sind wir

    Die Filmdozentin Bernadette Kolonko glaubt an eine diversere Filmbranche. Mit ihren Studierenden hinterfragt sie etablierte Rollen und Narrative und bringt neuartige Gegenerzählungen auf die Leinwand. Ihr Lehrkonzept zum Thema «Kollaboration» wurde mit dem Lehrpreis 2022 ausgezeichnet, der hervorragende Leistungen von Dozierenden würdigt. Fünf Fragen an die Preisträgerin.

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    Bernadette Kolonko wurde für ihr Konzept zum Thema «Kollaboration» mit dem Lehrpreis 2022 ausgezeichnet. Visualisierung: Sketchy Solutions; Porträtillustration: Simone Stolz; Video und Animation: Roman Weber
    Was macht einen queer-feministischen Film aus – ersetzt man schlicht Helden durch Held/-innen?

    Bernadette Kolonko: Erst mal sollten wir Konstruktionen wie die Heldengeschichte grundsätzlich hinterfragen. Welche Bilder von Mann und Frau werden dort auf erzählerischer und ästhetischer Ebene gezeigt? Tauschen wir Helden durch Held:innen, haben wir zwar diversere Figuren – wie die Figuren aufeinander schauen, wie ihre Körper gezeigt werden und wie die Geschichte aufgebaut ist, bleibt aber häufig gleich. Erzählerisch geht das oft so: Eine Person nimmt das Schicksal in die Hand, schreitet linear und zielorientiert durch die Geschichte, macht sich die Welt zu eigen. Darin sind gelernte Machtstrukturen eingeschrieben, wie etwas oder jemand besiegt werden muss. Das können wir auch anders erzählen: Die Figuren sind solidarisch miteinander, unterstützen sich, teilen und sorgen füreinander in der Komplexität, die Beziehungen mit sich bringen. Zur Ästhetik können wir fragen: «Wie ist eine weiblich gelesene Protagonistin angezogen? Wird sie trotzdem sexualisiert?» Bei Netflix zum Beispiel können wir in vielen Serien sehen, dass Figuren zwar divers besetzt werden, dann aber weibliche oder queere Figuren trotzdem mit Klischees belegt werden, indem zum Beispiel Kostüm und Maske sie zum Objekt machen. Eine Frau steht dann etwa auf hochhackigen Schuhen und damit nicht fest auf dem Boden, wirkt wackelig und ist in erster Linie Love Interest. Diese Details sind wichtig.

    Studierende lernen bei Ihnen, widerständige Filmformen zu erschaffen. Mit welchen Übungen arbeiten Sie?

    Ein Beispiel aus meinem Seminar: Die Figur des «Flaneurs» nach Walter Benjamin bewegt sich selbstverständlich im öffentlichen Raum, macht ihn sich zu eigen. Der Flaneur:in fällt das schwerer: Taucht sie allein in der Öffentlichkeit auf, gibt es in Filmen meistens entweder eine Bedrohungssituation oder eine Sexualisierung ihrer Körperlichkeit (Alternative: einen voyeuristischen Blick auf den Körper). In Begleitung von Mann oder Familie gibt es eine klare Zuordnung, ist sie allein, wird sie auf ihren Körper und ihre sexuelle Verfügbarkeit reduziert. Mit meinen Studierenden übe ich, diese Momente der Flaneurin oder von Flaneur:in anders zu gestalten. Wir schauen Szenen aus der Filmgeschichte an und entwerfen Gegenbilder. Dann gehen sie mit Kameras los und erstellen utopische Skizzen, die wir gemeinsam auswerten.

    «Die Figuren ändern sich, die Narration bleibt dieselbe. Das muss zusammengedacht werden.»

    Bernadette Kolonko
    Welche Tools geben Sie Ihren Studierenden für deren Arbeit mit?

    Eines meiner Lieblingstools ist der Aufsatz «Visual Pleasure and Narrative Cinema» von Laura Mulvey. Sie beschreibt treffend für das Hollywoodkino der 1930er- bis 1960er-Jahre was immer noch in den meisten Fällen passiert: Auch wenn sich Figuren heute ändern, bleiben die Blickkonstruktionen auf nicht männlich gelesene Körper die gleichen. Das muss zusammengedacht werden. Bei der eigenen Arbeit ist es wichtig, die Aussenperspektive auf filmische Entscheidungen einzunehmen und sich immer wieder zu fragen: Was sehe ich, was artikuliert sich im Bild und Ton und was heisst das für meine Erzählung? Ich ermutige meine Studierenden ausserdem, eigene Arbeitsweisen zu entwickeln. Oft verliert man die aus den Augen, wenn man im Studium oder im Beruf in dieser Treatment-, Drehbuch- und dann Drehstruktur steckt. Deshalb rege ich an, nebenher ein Filmtagebuch oder ein Forschungsbüchlein zu schreiben. Da kommt alles rein, was ihnen wichtig ist und was nicht ins Drehbuch kann. Dies zu dokumentieren, festigt den eigenen Blick.

    «Ich denke oft: Es muss sich etwas ändern, sonst guckt das bald keiner mehr.»

    Bernadette Kolonko
    Wie bereiten Sie Ihre Studierenden auf eine Branche vor, in der gelernte Machtstrukturen Realität sind?

    Ich habe kein Interesse daran, sie auf den Markt vorzubereiten, wie er gerade ist. Ich möchte ihnen Selbstvertrauen, Vokabular und Methoden mitgeben, damit sie die Branche mit verändern und gestalten können. Wir alle sind die Branche und es muss sich etwas ändern, sonst guckt das bald keiner mehr. Ich zeige ihnen, wie verschiedene Regiepersonen die Dinge anders gemacht haben, ermutige sie, sich deren Arbeit genau anzuschauen. Sie sollen lernen, sich treu zu bleiben und trotzdem gewisse Formen und Regeln zu kennen, die notwendig sind, um etwa Finanzierung zu bekommen, sich da durchzunavigieren.

    «100 Jahre von weissen Männern geprägte Filmgeschichte lassen sich nicht mit dem einen Kunstgriff in neue Bahnen lenken.»

    Bernadette Kolonko
    Sie haben für ein Projekt mit internationalen feministischen Regiepersonen gesprochen – was haben Sie dabei gelernt?

    Punkt eins: Feministische Ästhetiken gehen immer einher mit anderen Arbeitsweisen, weniger hierarchischen Sets, einem Überdenken des klassischen Plot-zentrierten Erzählens, einem Fokus auf die Entwicklung anderer Ästhetiken. Zweitens: Wir sind erst am Anfang. Wir sind alle unglaublich stark vom Male Gaze geprägt. Genau deshalb, und das ist Punkt drei, ist es so wichtig, zu teilen. Ich bin mit meiner persönlichen Perspektive an das Projekt herangegangen, erst im Teilen mit den anderen feministischen Regiepersonen habe ich begriffen, dass wir feministische Betrachtungsweisen und Ästhetiken nur im gemeinsamen Diskurs entwickeln können. Im Teilen von Erfahrungen, von Wissen, indem wir über Arbeitsweisen sprechen. 100 Jahre von weissen Männern geprägte Filmgeschichte lassen sich nicht mit dem einen Kunstgriff in neue Bahnen lenken.