Wenn Grenzen neue Möglichkeiten eröffnen

    Seit 20 Jahren wird an der ZHdK die Vertiefung Interaction Design gelehrt. Studierende erforschen, konzipieren und realisieren dabei die Voraussetzungen, die eine Interaktion zwischen Menschen, Umgebungen und Gegenständen ermöglichen. Wie hat sich die Ausbildung verändert und was macht sie besonders? Prof. Dr. Gerhard Buurman, Gründer der Vertiefung Interaction Design an der ZHdK, und die heutige Leiterin Prof. Dr. Karmen Franinović geben Antworten.

    Bild: Porträt von Franinović und Buurman
    Prof. Dr. Karmen Franinović, die heutige Leiterin der Vertiefung Interaction Design an der ZHdK, und der Gründer Prof. Dr. Gerhard Buurman. Foto: zVg
    Was heisst Interaction Design für Sie?

    Prof. Dr. Gerhard Buurman: Als wir 2001 mit Interaction Design an der ZHdK anfingen, war in Europa vor allem der Begriff «Interface Design» bekannt, also die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer. Das schien uns zu kurz gegriffen. Wir hatten sehr früh verstanden, dass wir die lebensweltlichen Prozesse hinter diesen Oberflächen gestalten müssen. Das hat den Designbegriff erweitert.   —   Prof. Dr. Karmen Franinović: Für mich wird «Interaction» sehr oft missverstanden als etwas, das nur mit digitaler Technologie zu tun hat. Dabei geht es im Interaction Design sehr stark um Beziehungen und Wirkungen, um das Erfahren und Agieren mit unserer Umwelt. Wir gestalten keine Objekte, sondern Bedingungen für soziale, sensorische und materielle Ökologien. Das heisst, wir entwickeln Dinge, Plattformen oder Räume, die Erfahrungen und deren Bezugssysteme ermöglichen oder hinterfragen.

    «Wir gestalten keine Objekte, sondern Bedingungen für soziale, sensorische und materielle Ökologien.»

    Prof. Dr. Karmen Franinović, Leiterin Vertiefung Interaction Design an der ZHdK
    Gibt es ein Beispiel für eine Diplomarbeit, die eine solche Erfahrung ermöglicht hat?

    K.F.: Die Bachelorarbeit «on souls and soil» von Duy Bui erforscht Landschaften von Kolonialismus, Kapitalismus und Vertreibung in Südostasien und beleuchtet die Verflechtungen des Bodens mit Kultur, Politik und Wissenschaft. Anhand des Beispiels von Dörfern in Hong Kong und Kambodscha erzählt Duy Geschichten von sozialer und ökologischer Ausgrenzung und Ressourcenerschöpfung. Ich finde besonders spannend, wie er den Zugang zum Thema Boden gefunden hat. Er war als Aktivist in Hong Kong engagiert und befasste sich mit anthropologischen und gestalterischen Zugängen, die über den Menschen hinausgehen. In Zusammenarbeit mit Bodenwissenschaftler:innen hat Duy ein neues Interface zwischen Menschen und Bodenmikroben entwickelt.   —   G.B.: Natürlich haben sich die Themen in den letzten 20 Jahren verändert. Die Thematisierung von Natur entspricht heute einem erweiterten Verständnis von Natur und Technik. Vor zwei Jahrzehnten standen wir am Beginn eines umfassenden Transformationsprozesses und wir waren zunächst gebannt von den neuen technischen Möglichkeiten. Heute geht es vielmehr um sachbezogene Fragen und um Krisenbewältigung.

    Bild: Platte mit Bodenproben
    Die Bachelorarbeit «on souls and soil» von Duy Bui beleuchtet die Verflechtungen des Bodens mit Kultur, Politik und Wissenschaft. Foto: Dr. Tomislav Mesic

    «Heute ist eher die Frage interessant, welche Grenzen wir als Designer:innen realisieren.»

    Prof. Dr. Gerhard Buurman, Gründer der Vertiefung Interaction Design an der ZHdK
    Was war denn damals anders?

    G.B.: Neue Technologien brachten neue Möglichkeiten, neue Kompetenzen, neue Designtechniken. Der Möglichkeitsraum für die Gestalter:innen erweiterte sich. Grenzen wurden verschoben und wir dachten über Dinge nach, die vorher im Design so nicht verhandelt worden waren. Heute ist eher die Frage interessant, welche Grenzen wir als Designer:innen realisieren.

    Bild: Bildschirm und Bodenproben
    In seiner Bachelorarbeit «on souls and soil» erzählt Duy Bui Geschichten von sozialer und ökologischer Ausgrenzung und Ressourcenerschöpfung. Foto: Duy Bui
    Ist das nicht etwas frustrierend, wenn es im Studium um Grenzen statt Möglichkeiten geht?

    K.F.: Wenn ich an mein Interaction-Design-Studium zurückdenke, das ich 2002 am Interaction Design Institute Ivrea in Italien begonnen habe, dann stimmt es schon, dass wir es leichter hatten: Da die neuen Technologien damals noch nicht in die Gesellschaft integriert waren, haben wir mit Leichtigkeit vielversprechende Ideen konzipieren können. Heute geht es nicht nur um Grenzen. Wir wollen Alternativen zu bestehenden sozialen, politischen, technologischen und ökologischen Systemen denken und erproben.

    «Design hat letztlich auch etwas mit Verantwortung, mit künftigen Welten – oder eben Wirklichkeiten – zu tun.»

    Prof. Dr. Gerhard Buurman, Gründer der Vertiefung Interaction Design an der ZHdK
    Was macht eine gute Ausbildung aus?

    G.B.: Eine Kunsthochschule sollte ein Ort sein, an dem junge Menschen einen schöpferischen Zugang zu der Welt bekommen, in der wir leben. Das Design spielt dabei eine so wichtige Rolle, weil es in allgemeine Verhältnisse eingreift, sie oft trivialisiert und stets ökonomisiert. Design hat also letztlich auch etwas mit Verantwortung, mit künftigen Welten – oder eben Wirklichkeiten – zu tun.

    → Mehr zum Projekt «on souls and soils»

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