Voneinander lernen

    Xiao Yong, Visual-Design-Professor an der Central Academy of Fine Arts in Beijing, und Peter Vetter, langjähriger Designdozent der ZHdK, diskutieren über Unterschiede im chinesischen und schweizerischen Designverständnis, kulturell geprägte Stilformen und darüber, warum gerade der internationale Austausch ein Treiber für Innovation, Qualität und kreatives Denken ist.

    Bild: visueller Auftritt mit verbindenden Linien
    Erscheinungsbild für die HK-SZ Design Twin City. Veranstaltung für die Design- und Kreativindustrie in Hong Kong und Shenzhen 2018. Design: another design, Guangzhou (China)
    Gibt es ein persönliches Erlebnis, das Ihnen klargemacht hat, wie wichtig interkulturelle Designkompetenz ist?

    Peter Vetter: Ich habe in den 1980ern dreieinhalb Jahre in Japan gearbeitet. Niemand sprach Englisch, also mussten wir durch unsere Arbeit als Designer:innen eine gemeinsame Sprache entwickeln. Interkultureller Austausch bringt Menschen zusammen, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf dasselbe Problem blicken und es deshalb ganz unterschiedlich lösen.  —   Prof. Xiao Yong: Mir ist es ähnlich ergangen. Nach der wirtschaftlichen Öffnung Chinas reiste ich Anfang der 1990er-Jahre mit dem Zug von Beijing nach Finnland und studierte an der School of Arts, Design and Architecture der Aalto University in Helsinki. Ich war der erste chinesische Student mit einem Design Degree aus einem nordischen Land. Während dieser Zeit habe ich gelernt, wie stark meine Kultur mein Designverständnis prägt und wie es sich verändert, wenn ich in interkulturellen Teams arbeite. Das schafft kein Buch.

    «Ich war der erste chinesische Student mit einem Design Degree aus einem nordischen Land.» 

    Prof. Xiao Yong, Visual-Design-Professor an der Central Academy of Fine Arts in Beijing
    Was ist gutes Design in der Schweiz und in China?

    X.Y.: China ist gross und divers. Die Vorstellungen von gutem Design gehen weit auseinander. Jüngere Chines:innen aus urbanen Gebieten haben einen ganz anderen Geschmack, eine andere Lebensrealität und damit andere Bedürfnisse als Menschen vom Land. Sie orientieren sich an globalen Strömungen und bewerten Design wahrscheinlich ähnlich wie Schweizer Designinteressierte. Diese Generation entwickelt derzeit in rasantem Tempo eine eigene konzeptionelle Identität und unterschiedliche Stilformen. Diese basieren auf humanistischen und funktionalen Werten, visuellen Elementen der chinesischen Kultur und westlichen Einflüssen, die hoch qualifizierte Designer:innen aus Europa oder den USA in ihre Arbeit in China haben einfliessen lassen.   —   P.V.: Infolge der Globalisierung und Digitalisierung kann ich bei vielen Arbeiten kaum mehr erkennen, woher die Werke stammen. Design unterliegt immer einem universellen Verständnis und muss in China und der Schweiz dasselbe leisten. Wir unterscheiden uns aber in der konzeptionellen Herangehensweise und in kulturell geprägten Stilformen – man schaue sich beispielsweise die hervorragenden Arbeiten des chinesischen Designstudios another design aus Guangzhou an. Hier können wir voneinander lernen und Neues schaffen.

    «Infolge der Globalisierung und Digitalisierung kann ich bei vielen Arbeiten kaum mehr erkennen, woher die Werke stammen.»

    Peter Vetter, langjähriger Designdozent an der ZHdK
    dekoratives Bild
    Erscheinungsbild für die Bi-City Biennale of Urbanism and Architecture 2019. Die Biennale findet seit 2005 statt und ist eine der grössten Veranstaltungen der Welt im Bereich Urbanismus und Architektur. Design: another design, Guangzhou (China)

    «Shenzhen ist eine unvergleichlich junge, lebendige und grüne Stadt mit viel Raum für Veränderung, Kultur und Innovation.»

    Peter Vetter, langjähriger Designdozent an der ZHdK
    Die ZHdK plant mit dem Harbin Institute of Technology (HIT) und verschiedenen Partnern die Shenzhen International School of Design (SISD). Warum würden Sie Studierenden ein Austauschsemester in China oder in der Schweiz empfehlen?

    X.Y.: Wir gehen davon aus, dass 70 Prozent des heutigen Wissens in ein paar Jahren bereits wieder überholt sein werden. Was bleibt also? Wir sollten uns in der Ausbildung auf ein konzeptionelles Designverständnis fokussieren, kreatives Denken fördern und eine gemeinsame Designkultur entwickeln. Daraus entstehen Qualität und Innovation. Internationale Partnerschaften und kultureller Austausch gehören zu den elementaren Treibern dieses Prozesses.   —   P.V.: Shenzhen ist eine unvergleichlich junge, lebendige und grüne Stadt mit viel Raum für Veränderung, Kultur und Innovation. Stellen Sie sich das Silicon Valley in einem komplett anderen Kulturkreis vor, in dem junge Generationen die Grenzen zwischen Innovation, Kunst und kommerziellen Inhalten verwischen und mit neuen Technologien verknüpfen. Akademischer Austausch gibt uns die Möglichkeit, offen, respektvoll und wissbegierig auf diese Menschen zuzugehen.