Was die Beobachtete beobachtet

    Zollfreilager.net, das Internetmagazin der Plattform Kulturpublizistik der ZHdK, hat das Zürcher Theater Spektakel 2020 mit der Spezialausgabe «Trading Identities» begleitet. Während des Frühlingssemesters hatten sich zuvor auch Studierende und Lehrpersonen der Fachbereiche Transdisziplinarität, Kulturpublizistik und Dramaturgie in Seminaren und Workshops mit dem Themenfeld beschäftigt. Dabei entstand der Essay «Authentisch am Strand liegen», in dem Tanja Spielmann, Studentin im Bachelor Theater, Dramaturgie, ihre Teilnahme an der Oper «Sun & Sea» beschreibt.

    Bild: Menschen am Strand liegend
    Szenenbild aus der Oper «Sun & Sea». Foto: Zollfreilager.net

    Zollfreilager.net wirft in journalistischen, reflektierenden und künstlerisch-experimentellen Formaten Schlaglichter auf Phänomene rund um Kultur, Kunst und Migration. Zu den Beitragenden gehören Kulturpublizistik-Studierende des Masters Art Education sowie ein internationales Netz von Korrespondentinnen, Mittätern und Komplizinnen aus allen Disziplinen. Bereits zum dritten Mal widmete sich die Spezialausgabe dem Theater Spektakel Zürich. Unter dem Titel «Trading Identities» finden sich einerseits Interviews, Essays und Illustrationen, die sich grundsätzlich mit dem Themenfeld auseinandersetzen; andererseits reagierten die Autorinnen und Autoren in verschiedenen Formaten auf die Veranstaltungen des Theater Spektakels. 

    Niemand ist unsichtbar

    Wie wird Identität als vermeintliche Normalität gemacht? Mit dieser Frage beschäftigte sich die Zollfreilager-Spezialausgabe «Trading Identities». Niemand ist unsichtbar, niemand ist neutral. Dieser Erkenntnis folgend war Zollfreilager am Theaterspektakel mit einem mobil-installativen Hochsitz zum ersten Mal sichtbar. 

    Authentisch am Strand liegen

    Mitten ins Spektakel wagte sich Studentin Tanja Spielmann. Mit «Authentisch am Strand liegen» schrieb sie über ihre Erfahrung als Statistin der Oper «Sun & Sea», die am Theater Spektakel aufgeführt wurde. Die Liveperformance der litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė gewann 2019 den Goldenen Löwen in der Kategorie «Best National Participation» an der Biennale in Venedig. Im Folgenden ein Ausschnitt aus dem Text von Tanja Spielmann:

    «Den ersten Teil dieses Beitrags schreibe ich, während ich mit übergrossem Strohhut, pastellfarbenem Bikini und Rhabarberschorle auf einem beigen Strandtuch auf beigem Sand in der Werft sitze. Sieben Scheinwerfer werfen ihr Licht auf mich und ungefähr 40 Augenpaare ihre Blicke – genauer kann ich es nicht sagen, weil sich das Zählen der Zuschauer*innen gerade wie ein Verrat an meiner Aufgabe anfühlt.

    «Sieben Scheinwerfer werfen ihr Licht auf mich und ungefähr 40 Augenpaare ihre Blicke.»

    Tanja Spielmann, Studentin und Autorin für Zollfreilager.net 

    Ich habe mich als Statistin für die Oper ‹Sun & Sea› der litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė gemeldet, die im Rahmen des Theater Spektakels gezeigt wird. Die einzige Anforderung an mich: ein pastellfarbener Bikini und Zeit. Die 60-minütige Oper spielt fünfmal pro Abend – geloopt. Heute, am 19. August 2020, von 17 bis 22 Uhr.

    Bild: Menschen am Strand liegend
    Szenenbild aus der Oper «Sun & Sea». Foto: Regula Bearth © ZHdK

    Ich finde mich also um 16 Uhr im Statist*innen Eingang ein, vorerst noch ziemlich alleine. Mein Bikini wird kurz gesichtet, ausserdem bekomme ich ein Handtuch, Flip-Flops und einen riesigen Hut ausgehändigt. Ich könne jederzeit raus, schwimmen im See, auf die Toilette gehen oder Getränke und Snacks holen, die ich auch gerne zurück an den Strand bringen dürfe. Ansonsten lesen, Badminton spielen, schlafen, aber auch Handy, Kopfhörer und Laptop dürfen benutzt werden. Nur nicht flüstern – wenn reden, dann in normaler Lautstärke. Ich soll einfach das machen, was ich auch sonst am Strand machen würde.

    «Die einzige Anforderung an mich: ein pastellfarbener Bikini und Zeit.»

    Tanja Spielmann, Studentin

    So schlendere ich um 17 Uhr zu meinem Strandplatz, den ich mir vorher bereits zurechtgelegt hatte. Ein Tuch, eine Strandtasche mit Notizbuch und Lesematerial sowie Handy und Wasserflasche und unordentlich drapierte Flip-Flops liegen bereit. Rechts und links wird gesungen, während man sich mit vermeintlicher Sonnencreme einschmiert, am Strand spaziert oder sich, sich im kleinen Schminkspiegel betrachtend, die Lippen nachzieht. Ich versuche zu lesen. Während ich also auf meinem Bauch liegend das Buch aufschlage, frage ich mich, wie ich wohl von oben aussehe, wenn ich lese. Ich spüre meine Beine, die sich bei den Knien berühren, und die Füsse, die sich leicht in den Sand graben. Und plötzlich fühlt sich keine Haltung mehr natürlich an. Ich drehe mich auf die Seite. Was mache ich normalerweise mit meinen Armen? Wie halte ich das Buch? Schaut der Zettel der Badehose raus? Wirke ich zu gestellt? Ein Freund ruft mich an und ich schreibe: ‹Versuche gerade authentisch am Strand zu liegen, rufe später zurück.›»
    → Zum vollständigen Text von Tanja Spielmann auf Zollfreilager.net

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