Fair Practice: eine real existierende Verantwortung

    Studierende und Dozierende des Departements Darstellende Künste und Film engagieren sich mit Projekten und Initiativen für eine ehrlichere Kunstpraxis. Vor allem Diversität, soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit werden thematisiert, wie ein Blick auf das Lehrangebot im Theater zeigt. 

    Bild: Logo Fair Practice
    Der Fair Practice Code ist kein fernes politisches Ziel, sondern eine real existierende Verantwortung. Grafik: Thijs Verbeek

    Labels wie Fair Trade oder Fair Fashion sind für Konsumentinnen und Konsumenten, die Gerechtigkeit im internationalen Handel fördern wollen, zu wichtigen Orientierungshilfen geworden. Als Reaktion auf unbefriedigende Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb haben nun auch Kulturschaffende die Initiative ergriffen, um unter dem Schlagwort «Fair Practice» Richtlinien für eine ehrlichere Kunstpraxis aufzustellen. «Das Ziel ist eine freiwillige Selbstverpflichtung, Produktionsbedingungen, Führungskultur und Zusammenarbeit auf fünf zentrale Werte hin zu überprüfen: Solidarität, Transparenz, Nachhaltigkeit, Diversität und Vertrauen. Werden all diese Werte bereits im Berufsalltag gelebt? Oder besteht nicht doch noch Handlungsbedarf?», fragt Marijke Hoogenboom, Direktorin des Departements Darstellende Künste und Film. 

    Lebens-, Ausbildungs- und Arbeitssituation sollen gerecht, sicher, divers und inklusiv sein.

    In den letzten Jahren sind europaweit Studien erschienen, die nicht nur die prekäre Einkommenssituation professioneller Kreativer dokumentieren, sondern auch die Sorge um soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Machtmissbrauch thematisieren. Dabei wollen es viele engagierte Kulturschaffende aber nicht belassen. «Wir stellen seit einigen Jahren fest, dass die Sensibilisierung unserer Studierenden zugenommen hat und sich junge Menschen ganz allgemein zunehmend kritischer mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ihre Lebens-, Ausbildungs- und Arbeitssituation gerecht, sicher, divers und inklusiv ist und soziale und ökologische Verantwortung übernommen wird», so Hoogenboom. 

    Ökologie und Bühnenbild

    Verschiedene Projekte und Lehrveranstaltungen setzten sich mit diesen Themen auseinander. Ein Beispiel dafür ist «GROW your own STUFF. Pilzkulturen als Rohstoff». Die Lehrveranstaltung von Manuel Fabritz aus dem Bereich Bühnenbild verfolgte einen experimentellen Ansatz, der die komplexen Verknüpfungs- und Beziehungsgeflechte zwischen Ressource, Materialproduktion, Materialeigenschaft und Materialverbrauch verdeutlichte und am Beispiel Pilz modellhaft darstellte. Praktische Versuche und Experimente regten dazu an, ungewöhnliche und neuartige Roh- und Werkstoffe kennenzulernen und sie als ökologisch sinnvolle Alternativen zu herkömmlichen Materialien im Theater zu prüfen.

    Bild: Pilze
    Praktische Versuche und Experimente: Lehrveranstaltung «GROW your own STUFF. Pilzkulturen als Rohstoff». Foto: Kaspar König © ZHdK

    Macht und Machtmissbrauch

    Marijke Hoogenboom stellt fest, dass insbesondere Studierende Grenzüberschreitung und Machtmissbrauch in der Branche thematisieren und in einen breiteren Kontext stellen möchten: «Sie wünschen sich Schulungen und Diskussionen zu strukturellen Ausschlussmechanismen wie Rassismus, Sexismus oder LGBTQIA+-Feindlichkeit», so Hoogenboom. Thomas Schmidt von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt ist Autor der bisher grössten Studie zu Macht und Machtmissbrauch an deutschen Theatern. Die Diskussionsveranstaltung mit ihm, die im Rahmen des Moduls «Institutionen überschreiben» im Master Theater, Dramaturgie, durchgeführt wurde, stiess auf grosses Interesse. Studierende untersuchten fortlaufend und gemeinsam mit dem Schauspielhaus, wie eine künstlerische Institutionskritik des Theaters aussehen und wirksam werden könnte.

    «Studierende wünschen sich Schulungen und Diskussionen zu strukturellen Ausschlussmechanismen wie Rassismus, Sexismus oder LGBTQIA+-Feindlichkeit.»

    Marijke Hoogenboom, Direktorin Departement Darstellende Künste und Film

    Studierende des Departements initiierten zudem eine Action Group, die sich mit konkreten Vorschlägen für mehr Gerechtigkeit einsetzt. Ferner entstanden aus einer Zusammenarbeit mit dem Institut neue Schweiz zwei Sensibilisierungsworkshops. Auch beim Studierenden-Dozierenden-Tag ging es um das Thema Rassismus und Vielfalt.

    Fair Spec und Fair Practice

    Auch im lokalen Berufsfeld gibt es ein grosses Bedürfnis, zu diskutieren, was faires Zusammenarbeiten und Produzieren – unter herausfordernden Bedingungen wie knappen Budgets und Wettbewerb – bedeuten könnten. Das Departement unterstützt die Initiative Fair Spec, bei der sich mehrere Theaterdozierende und Alumni engagieren. Fair Spec verantwortet einen Prozess zur Sensibilisierung für ethisches Handeln in den darstellenden Künsten und zur Entwicklung fairer Richtlinien für die freie Szene. In Zusammenarbeit mit Fair Spec hat Dozentin Sabine Harbeke die Lehrveranstaltung «Theater politisch leben» vorbereitet, die im Frühlingssemester 2021 erstmals durchgeführt wird. 

    Fair Practice ist zu einer unabdingbaren Voraussetzung geworden, um den Sektor zukunftsfähig zu machen – nicht als fernes politisches Ziel, sondern als real existierende Verantwortung. In Belgien und den Niederlanden wird die Bottom-up-Initiative inzwischen breit getragen und ist im Bewusstsein der Kunsthochschulen bis hin zu den Förderkriterien der Kulturfonds angekommen. Die Schweiz ist auf gutem Weg dorthin. 

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