Die Lage bleibt kreativ

    Porträt Thomas Meier

    Die Covid-19-Pandemie veränderte das Studieren, Lehren, Forschen und Arbeiten an der Zürcher Hochschule der Künste fundamental. Corona hat der digitalen Lehre einen Schub versetzt, neue Formate hervorgebracht, jedoch gleichzeitig auch die Angehörigen der Hochschule stark belastet. Das kulturelle Leben und damit das Berufsfeld unserer Dozierenden und Studierenden wurden unter der Pandemie weitgehend stillgelegt. Gleichwohl prägte die ZHdK auch unter Corona-Bedingungen die Bildung in den Künsten, im Design und in der Vermittlung sowie die Kulturlandschaft lokal, regional und international.

    Eine Hochschule mit Strahlkraft
    An der ZHdK ausgebildete Lehrkräfte prägten auch im Berichtsjahr den Unterricht in Musik und Bildnerischem Gestalten an Schulen in der ganzen Schweiz. ZHdK-Angehörige bespielten Ausstellungsräume, Theater- und Konzertbühnen, produzierten für Kino und Fernsehen und prägten die Schweizer Designszene. So führte Michael Schaerer, Professor an der ZHdK, Regie für die vom Schweizer Radio und Fernsehen aufwendig produzierte historische Dramaserie «Frieden». Die Schauspielalumni Dimitri Stapfer und Lea Whitcher traten in Haupt- und Nebenrollen auf. ZHdK-Game-Designerin Sophie Walker will mit ihrer Wahlapp «CH+» mehr junge Menschen für die Politik begeistern, indem sie politische Informationen auf interaktive und intuitive Art darstellt. Anlässlich der Regierungs- und Parlamentswahlen in Basel-Stadt ist die App im Oktober zum ersten Mal zum Einsatz gekommen. Und die in einer Forschungskooperation zwischen der ZHdK und der Universität Fribourg entstandene Virtual-Reality-Anwendung «Expedition 2 Grad», die den Klimawandel eindrücklich erlebbar macht, gewann den Bundespreis Ecodesign des deutschen Umweltministeriums.

    Im Digitalisierungswettbewerb vorne sein
    Die Creative Economy hat in der Schweiz längst eine substanzielle Grösse erreicht: Sie beschäftigt rund eine halbe Million Menschen, was 11 Prozent aller Erwerbstätigen entspricht. Mit «Sleeping Beauty» veröffentlichte das Zurich Centre for Creative Economies (ZCCE) eine Serie von Research Notes, die sich mit Fragen zu den Folgen der Pandemie für die Kreativwirtschaft beschäftigen. Was bedeutet die Krise für eine Kunsthochschule, deren Lehre sich an den Tätigkeitsfeldern in der Kultur- und Kreativwirtschaft orientiert? Konzerte, Tanz- und Theateraufführungen mussten zwar abgesagt werden, gleichzeitig sind aber auch neue digitale Angebote und damit Konsumgewohnheiten entstanden, deren Folgen für das Kulturleben der Zukunft noch nicht abschätzbar sind.

    Mehr denn je treibt die ZHdK den digitalen Wandel voran und trägt dazu bei, dass Zürich im internationalen Digitalisierungswettbewerb vorne mit dabei ist. Die Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH), an der sich die ZHdK gemeinsam mit der UZH, der PHZH und der ZHAW beteiligt, bietet dafür einen idealen Rahmen. Nach der Genehmigung durch den Kantonsrat ist die DIZH im April mit der Besetzung der Geschäftsstelle operativ tätig geworden. Für das DIZH-Innovationsprogramm werden aktuell Projekte gesucht, die unterschiedliche Formen der Kooperation zwischen den beteiligten Hochschulen und Praxispartnern in den Vordergrund stellen.

    Lokal verwurzelt, weltweit vernetzt
    Die Berufsfelder in den Künsten und im Design sind international, auch hier in der Schweiz. Diesem Umstand muss in Lehre und Forschung Rechnung getragen werden. Die ZHdK verfügt über ein Partnernetzwerk von rund 160 Hochschulen weltweit, das sie ihren Angehörigen zugänglich macht. Gleichzeitig arbeitet sie im Interesse der Studierenden an der Zukunftsfähigkeit ihrer Studiengänge.

    Sind transdisziplinäre Kunsthochschulen wie die ZHdK das Modell des 21. Jahrhunderts? Diese und andere Fragen diskutierten über 1600 Vertreterinnen und Vertreter europäischer Kunsthochschulen an der Biennial Conference 2020 der ELIA (European League of Institutes of the Arts). Die ZHdK war Gastgeberin der Konferenz, die im November erstmals digital und mit so vielen Teilnehmenden wie nie zuvor durchgeführt wurde.

    Wie sieht eine zukunftsfähige Ausbildung in den Künsten, im Design und in der Vermittlung aus? Seit 2017 erarbeitet die ZHdK ein Major-Minor-Modell. 2020 sind die Konzepte für künftige Majors und Minors konkretisiert worden. Die Reform soll die Angebote der ZHdK durchlässiger machen, die Wahlfreiheit der Studierenden erhöhen und neue Themen fürs Studium erschliessen. Die gezielte Kombination von Tiefen- und Breitenwissen steht dabei im Fokus. Als eine der ersten Kunsthochschulen in Europa wird die ZHdK mit diesem Ansatz ihre Absolventinnen und Absolventen auf Berufskarrieren vorbereiten, die immer individueller und vielfältiger verlaufen und gleichzeitig hohe Anforderungen an die Kollaborationsfähigkeit stellen. 

    Die Pandemie zeigt uns, dass grosse Herausforderungen bei steigender Dringlichkeit nur gemeinsam angegangen werden können. Ein (virtueller) Ort, der für internationale Kooperationen in Lehre und Forschung steht, ist der Shared Campus. Die Plattform, die 2019 von der ZHdK und sechs führenden Kunsthochschulen Asiens und Europas gegründet wurde, hat sechs neue Institutionen als «Theme Partners» aufgenommen. Der Shared Campus zielt darauf ab, in global relevanten Themenfeldern wie Social Transformation, Pop Cultures oder Critical Ecologies nachhaltiges Wissen aufzubauen und transkulturelle Perspektiven in Lehre und Forschung zu verankern.

    Die internationale Zusammenarbeit stellt Hochschulen aber auch vor Herausforderungen. Im Sommer ist der Spatenstich für die Shenzhen International School of Design (SISD) erfolgt, an deren Aufbau sich die ZHdK gemeinsam mit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und dem Institute for Advanced Architecture of Catalonia beteiligt. Das politische Klima in und gegenüber China hat sich seit dem Start des Vorhabens 2014 signifikant verändert, und Kooperationen mit chinesischen Hochschulen werden zunehmend kritisch wahrgenommen. Auch ZHdK-Angehörige debattierten an mehreren internen Veranstaltungen über das Projekt. Die Hochschulleitung prüft aktuell die Bedingungen ihres Engagements in Shenzhen und bezieht dabei weite Kreise der Hochschule mit ein.  

    Gesellschaftliche Verantwortung und Solidarität
    Auch jenseits von Corona und Curricula brachte das Jahr wichtige hochschulweite Debatten mit sich. ZHdK-Angehörige diskutierten über die Freiheit von Lehre, Forschung und Kunst, über Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit, über Toleranz und ihre Grenzen. Orientierung boten dabei das Leitbild der ZHdK und die darin verankerten Werte. Die Fachstelle Gleichstellung & Diversity setzte wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einer noch inklusiveren Hochschule.

    Die Sensibilität für politische und gesellschaftliche Fragen ist für viele, die künstlerisch oder gestalterisch tätig sind, ein wichtiger Antrieb. Das kreative Schaffen, Diplomarbeiten, Veranstaltungen und Aktionen zeugen davon und bereichern das kulturelle Leben.  

    Das kulturelle und damit auch das öffentliche Leben haben 2020 tiefe Einschnitte erfahren. Darunter litten auch unsere Studierenden. Ohne Auftrittsmöglichkeiten und Nebenjobs entfielen wichtige Einkünfte. Bereits Ende März startete die Fondation ZHdK eine Corona-Nothilfe-Aktion. Insgesamt 400'000 Franken wurden kurzfristig freigegeben, um Härtefälle abzufedern und ZHdK-Studierende bei der Überbrückung finanzieller Engpässe zu unterstützen.

    Solidarität und Zusammenhalt haben im vergangenen Jahr eine neue Bedeutung bekommen.

    Thomas D. Meier
    Rektor, Zürcher Hochschule der Künste