Die grosse Studienmodell-Reform

    Art Education, Design, Film, Fine Arts, Musik, Tanz, Theater und Transdisziplinarität: Diese Disziplinen werden im Toni-Areal unter einem Dach studiert und gelehrt. Mit der Einführung des neuen Major-Minor-Studienmodells, die für 2022/2023 geplant ist, schärft die ZHdK ihr einzigartiges Profil als durchlässige, interdisziplinär ausgerichtete und an neuen Berufsfeldern orientierte Hochschule. Projektleiterin Michèle Graf im Interview über die Zukunft des Studierens.

    Bild: Studierende bei einer Performance
    «Laokoon 2016»: Beispiel einer departementsübergreifenden Performance. Foto: Johannes Dietschi © ZHdK
    Worum geht es bei Major-Minor?

    Michèle Graf: Mit dem Major-Minor-Modell wollen wir das Potenzial an der ZHdK noch besser ausschöpfen. Seit dem Einzug ins Toni-Areal begegnen sich Studierende, Lehrende, Forschende und Gäste unter einem Dach. Die ZHdK ist eine der wenigen Kunsthochschulen, in denen die Disziplinen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander stehen. Allerdings gibt es immer noch Hindernisse bei der Zusammenarbeit über disziplinäre Grenzen hinweg oder in Bezug auf die internationale Mobilität. Genau dort setzt das Major-Minor-Modell an: Es will die Angebote durchlässiger machen und die Wahlmöglichkeiten für die Studierenden ausbauen.

    Wie könnten solche Wahlmöglichkeiten aussehen?

    Nehmen wir als Beispiel eine Studentin mit Major Game Design, die sich für einen Minor entscheiden will: Sie könnte sich mit einem Minor Serious Games in ihrer Studienrichtung vertiefen, mit dem Minor Virtual Production Kompetenzen in einer anderen Disziplin erwerben, mit Immersive Arts einen übergreifenden, transversalen Minor wählen oder, falls wir in unseren Verhandlungen erfolgreich sind, den Minor Computer Science an einer anderen Hochschule besuchen.

    «Berufskarrieren unserer Absolventinnen und Absolventen verlaufen immer individueller und vielfältiger.»

    Michèle Graf, Projektleiterin Major-Minor
    Weshalb braucht es dieses Modell?

    Die Studienmodell-Reform soll die Angebote der ZHdK durchlässiger machen, die Wahlfreiheit der Studierenden erhöhen und neue Themen fürs Studium erschliessen. Die gezielte Kombination von Tiefen- und Breitenwissen steht dabei im Fokus. Die Corona-Zeit hat deutlich gezeigt, wie vielseitig Künstlerinnen, Designer oder Vermittlerinnen sein müssen. Für die Kunsthochschule kommt dazu, dass das Überschreiten und Infragestellen disziplinärer Grenzen zur zeitgenössischen Praxis in den Künsten und im Design gehören.

    Was will die ZHdK damit erreichen?

    Als eine der ersten Kunsthochschulen in Europa wird die ZHdK mit dem Major-Minor-Modell ihre Absolventinnen und Absolventen auf Berufskarrieren vorbereiten, die immer individueller und vielfältiger verlaufen und gleichzeitig hohe Anforderungen an die Kollaborationsfähigkeit stellen.

    Bild: Illustration schwarz/weiss
    Illustrative Darstellung des Major-Minor-Studienmodells. Illustration: Lea Huser
    Besteht nicht die Gefahr, dass «ein bisschen alles, aber nichts richtig» studiert wird?

    Unser Credo lautet: Keine Abstriche bei der Qualität! Wir haben keine europäische Kunsthochschule gefunden, die in ihrem Anspruch an Durchlässigkeit so weit geht wie wir. Unsere Studierenden verbringen viel Zeit in ihrem Majorstudium, dort ist ihre disziplinäre Heimat, dort haben sie ihr Standbein. Aber sie haben im Minorstudium auch die Möglichkeit, in die Ferne zu schweifen oder in die Tiefe zu gehen. Wer bereits im Studium lernt, mit viel Unbekanntem umzugehen, hat im Berufsleben Vorteile.

    Wie entscheide ich mich für den richtigen Minor?

    Will ich mich spezialisieren, wähle ich einen Minor in der Studienrichtung meines Majors. Will ich mir Grundlagen in einer weiteren Disziplin aneignen, wähle ich einen Minor in einer anderen Studienrichtung. Interessiert mich ein externes Angebot, kann ich einen Minor an einer Partnerhochschule wählen. Die diesbezüglichen Verhandlungen nehmen wir demnächst auf. Wir stellen uns auch eine stärkere Öffnung des Hochschulplatzes Zürich vor. Und schliesslich gibt es noch die transversalen Minors als Option, wenn übergreifende Perspektiven mein Ziel sind. Transversale Minors stehen allen Studierenden offen und vermitteln einen zentralen Kompetenzbereich der ZHdK. Die Themenfelder reichen von Nachhaltigkeit über Forschung bis hin zu Entrepreneuring.

    «Wir haben keine europäische Kunsthochschule gefunden, die in ihrem Anspruch an Durchlässigkeit so weit geht wie wir.»

    Michèle Graf, Projektleiterin Major-Minor
    Das Major-Minor-Modell betrifft viele Bereiche der ZHdK. Was landet bei dir?

    Das Projekt bringt für die gesamte ZHdK Veränderungen und viele Fragen mit sich. Beispielsweise sind die Verantwortlichen aus den Werkstätten besorgt, dass sich ungeübte Studierende verletzen könnten. Die Personalabteilung fragte, ob es neue Leitungsstellen geben werde, während Dozierende befürchten, sie könnten ihr Pensum verlieren. Und für alle ist der Zeitdruck eine Herausforderung, weil das Projekt parallel zum Tagesbetrieb läuft.

    Wie gehst du mit diesen vielen Fragen, Sorgen und Wünschen um?

    Ich versuche, den Überblick zu behalten und das Projekt agil zu führen. Ich teile mir die Arbeit deshalb in überschaubare Pakete ein. Es gibt starke Projektteams, die in den Hochschulbereichen verankert sind und deren Bedürfnisse einbringen. Mir ist wichtig, möglichst viele Leute einzubeziehen. Wir veranstalten regelmässig Foren, in denen alle mitdiskutieren können.

    Bild: Szene aus einem Workshop
    Agile Projektleitung: Michèle Graf an einem Major-Minor-Forum mit ZHdK-Angehörigen. Foto: Regula Bearth © ZHdK
    Wo steht das Projekt aktuell?

    Wir haben Anfang 2020 mit den Grobkonzepten einen wichtigen Meilenstein erreicht. Ist die Struktur definiert, können wir uns auf den Inhalt konzentrieren. 2021 wollen wir das Angebot definieren. Wichtige Erkenntnisse erhoffen wir uns von der Projektsimulation: Wie bewegen sich Studierende auf unserer Plattform? Welche Informationen suchen sie zuerst? Welche Angebote wählen sie aus? Vermissen sie etwas?

    Was würdest du wählen, würdest du nochmals studieren?

    Nun, ich bin Historikerin, keine Künstlerin. Ich würde meine eigene Disziplin in einen grösseren Kontext stellen wollen. Vielleicht würde ich etwas aus dem Design wählen oder mich fürs Schreiben interessieren. Mich würde sicher auch das ortsunabhängige Studieren reizen, um vom Netzwerk mit Partnerhochschulen, beispielsweise in Hong Kong oder London, zu profitieren.