Ziel des interdisziplinären Projekts ist es, sowohl Vorurteile musiktheoretischer Positionen zur Tanz- und Ballettmusik als einer rein funktionalen Musik zu überwinden und verstärkt die Zusammenarbeit der Bewegungskünste als Möglichkeit eines «herrschaftsfreien Dialogs» (Adorno) zu begreifen, als auch die Musik, eine verdrängte Seite der aktuellen Tanzwissenschaft, ins Blickfeld zu führen.
Das Projekt «Spielräume der Bewegung. Das Verhältnis von Musik und Tanz in den Ballettmusiken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland» von Dr. Steffen A. Schmidt ist Teil des leitenden Projekts «Verhältnis der Künste», das Schnittstellen zwischen Musik, (audio-)visuellen Künsten, Literatur und Tanz untersucht:
Die Ballettmusik des 20. Jahrhunderts hat Musikgeschichte geschrieben. Der von Danuser bezeichnete Funktionswandel, der sich mit den Balletten Strawinskys endgültig vollzog, manifestiert sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts in vielfältiger Hinsicht: Cage entwickelt im Zusammenhang mit dem Tanz das «prepared piano» sowie das Konzept der Unbestimmtheit (Indeterminacy); die Ballettmusik Pierre Henrys und Pierre Schaeffers zu Béjarts «Symphonie pour un homme seul» wird zum Meilenstein der elektronischen Musik (Musique concrète); und schliesslich entsteht mit Bernd Alois Zimmermanns «Ballet noir» Musique pour les soupers du Roi Ubu die erste bedeutende Zitatcollage in der Musikgeschichte. Trotz der wichtigen Entwicklung und den zentralen Werken ist das Verhältnis von Musik und Tanz nie ernsthaft in die ästhetische Diskussion gedrungen. Somit entstand eine Forschungslücke, die durch das vorliegende Projekt zwar nicht geschlossen, aber zumindest thematisiert und deutlicher eingegrenzt wird. Das Projekt beschränkt sich auf die genauere Untersuchung der Geschichte und Werke im Deutschland der Nachkriegszeit, bezieht allerdings weitere historische Dimensionen bis zum Beginn des Jahrhunderts mit ein. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Ballettmusiken Bernd Alois Zimmermanns. Besonders für das kompositorische Schaffen B.A. Zimmermanns nimmt die Bedeutung des Balletts eine sehr zentrale und bislang unterschätzte Stellung ein. Nicht nur, dass zentrale Werke von Zimmermanns Schaffensperioden mit dem Ballett verbunden (von den Kontrasten bis zur Ubu-Musik) sind; wie aus zahllosen Briefen Zimmermanns hervorgeht, kreiste sein Denken mehrfach und auf unterschiedlichsten Ebenen um das Ballett. Dass Zimmermann zwar zu den bedeutendsten Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts, nicht aber zu den wichtigen Ballettkomponisten (wie etwa Henze) zählt, bedarf einer Korrektur. Gerade die Zusammenarbeit mit John Cranko ist in diesem Kontext sehr genau zu dokumentieren.
Ziel des interdisziplinären Projekts ist es daher, sowohl Vorurteile musiktheoretischer Positionen zur Tanz- und Ballettmusik als einer rein funktionalen Musik zu überwinden und verstärkt die Zusammenarbeit der Bewegungskünste als Möglichkeit eines «herrschaftsfreien Dialogs» (Adorno) zu begreifen, als auch die Musik, eine verdrängte Seite der aktuellen Tanzwissenschaft, ins Blickfeld zu führen.
Ein Habilitationsprojekt, eingereicht bei der privaten Universität Witten-Herdecke.
Publikation:
Schmidt, Steffen A., Musik der Schwerkraft, Komposition und Choreographie im 20. Jahrhundert, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2013