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    queer archives of stillborn (m)others-

    Subjectivation in Loss

    Pascale Schreibmüller

    Das Projekt queer archives of stillborn (m)others fragt spezifischer nach den Subjektivierungen ‹unproduktiver› Schwangerschaften, d.h. Schwangerschaften, die kein lebendes Kind zur Welt bringen oder Schwangerschaften, die ein sogenanntes ‹nicht lebensfähiges Kind› zur Welt bringen: Welche Subjektkonstitutionen gehen mit der Nicht/Mutterschaft von Totgeburten und so genannten nicht lebensfähigen Kindern einher? Und welche ästhetisch-relationalen Praktiken des (Nicht-)Zeigens, (Nicht-)Hörens, Erinnerns und Spekulierens sind damit verbunden?

     

     

    In meinem transdisziplinären künstlerischen Dissertationsprojekt queer archives of stillborn (m)others frage ich nach den Subjektkonstitutionen, die mit der Geburt eines toten oder sogenannten nicht lebensfähigen Kindes einhergehen und welche ästhetisch-relationalen Praktiken des (Nicht-)Zeigens, (Nicht-)Hörens, Erinnerns und Spekulierens dabei mitwirken.

    Ausgangspunkt des Projekts ist die Geschichte meiner Mutter B., die 1976 in der Pflegerinnenschule Zürich kurz vor dem errechneten Geburtstermin ein totes Kind zur Welt brachte. Da es damals üblich war, Totgeborene den Eltern unmittelbar nach der Geburt wegzunehmen, hat B. ihr Kind nie gesehen. Sie erhielt weder eine adäquate Wochenbett-betreuung noch eine Form von Trauerbegleitung. Die Totgeburt war für B. eine private Erfahrung, die Scham- und Versagensgefühle erzeugte und keine sozial lebbare bzw. sozial tragfähige Subjektkonstitution in Beziehung zum verstorbenen Kind zuliess.

    In einem ersten grundlegenden Rechercheteil mit dem Titel Subjectivation in Loss, habe ich mich im vergangenen Jahr mit Archiven zur Schweizer Frauengeschichte wie dem Archiv der Gosteli-Stiftung in Worblaufen gewidmet und suchte nach historischem Quellenmaterial vor allem aus den 1970er und 1980er Jahren, aber auch nach individuellen, biografisch verkörperten Archiven in Form von Stimmen, Erzählungen und Alltagspraktiken und versuche, deren affektiv-subjektivierende Dimensionen zu erfassen. Meine transdisziplinäre Praxis ist durch den Austausch mit Vielen geprägt. So sind Gespräche mit verschiedenen Expert*innen und Akteur*innen, die Bezüge zu unerzählten oder ungehörten Geschichten von stillborn (m)others zentraler Bestandteil meiner Arbeit. Mit meiner 25-jährigen Berufserfahrung als Hebamme versammle ich zudem verkörperte Wissen, die hilfreich sind und beim Durchsehen pflegewissenschaftlicher Dokumente und v.a im Gespräch mit Zeitzeug:innen und anderen Personen mit Bezug zu stillborn (m)others. Ausserdem erlaubt mir meine Einbettung in das Feld der Hebamme, meine Forschung über künstlerische und kulturanalytische Kontexte hinaus in das reale Feld der Geburtshilfe zurückzuverweisen und das in der Schweiz noch kaum vorhandene Feld der Critical Midwifery zu bespielen.

    Das gefundene Material wird in Workshops mit kollaborativen Prozessen und künstlerisch forschenden Herangehensweisen aktualisierend bearbeitet. Das Projekt soll aus Stimmen, Sounds, Texten und Performances Quellkörper formen - sich materialisierende Relationen, die sowohl als Archive als auch als Figurationen von stillborn (m)others fungieren können.

    Im Mai 2024 veranstaltete ich zum Beispiel in der Fraum* Zürich und im Archiv der Gosteli-Stiftung Gossip in der Wochenstube, das erste Format einer möglichen Reihe von Workshops. Rachel Reed betont in ihrem Buch Zurück zur Geburt als Übergangsritus (2021), dass Frauen in Europa während des gesamten Mittelalters die Kontrolle über Fortpflanzung, Schwangerschaft, Geburt und frühe Mutterschaft behielten. Die enge Verbindung der Frauen in der Gemeinschaft während des Geburtsprozesses und der frühen Mutterschaft spiegelte sich auch in der Praxis des Gossip wider. Gossip, vom altenglischen godsibb Pate, Patin, abgeleitet von God + sibb (sibling, Geschwister, Verwandte), erweiterte seine Bedeutung im Mittelenglischen auf vertraute Bekannte, Freundin, Nachbarin, insbesondere für Frauen, die zu einer Geburt eingeladen wurden. Als Auftakt, führte ich im Workshop in eine Webeform ein, die als soziale Basispraxis diente, um Erzählungen über stillborn (m)others Raum zu bieten und sie in Webekaros zu materialisieren. Mit der Imagination einer Wochenstube, in der sich die Teilnehmenden als Gossip versammelten, nahm die Workshopgruppe Resonanz auf stillborn (m)others, die in den 70er und 80er Jahren oft keine Wochenstube und weder emotionale noch physische Fürsorge erfahren haben, und setzt sich thematisch kritisch mit den Schwerpunkten Erzählweisen, Listenings, Dokumentationsweisen und Archivierungsmöglichkeiten auseinander. Die im Rahmen des Workshops entstandene Materialsammlung ist zurzeit in Bearbeitung und wird zu einer polyphonen Mikrogeschichten in Form von einer Audiokomposition arrangiert, die auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Im Rahmen meiner bisherigen künstlerischen Praxis mit Sound, Hörpraktiken und Recordings habe ich häufig mit solchen polyphon-mikrohistorischen Audiokompositionen gearbeitet; ich nenne sie Listening Manifestos[1].Die Listening Manifestos sind nicht als ‹Ergebnisse› im engeren, abschliessenden Sinn zu verstehen. Vielmehr stellen sie Manifestationen einer kreativen Wissenspraxis kollektiver Quellkörper dar, die keinen Schlusspunkt setzen, sondern zum Weiterforschen einladen.

    Anknüpfend an den ersten Projektteil wird der zweite Teil – Gesten der Beziehung (postpartum) – sich mit Erinnerungsorten und anderen Gesten (zur «Geste» vgl. Kim 2014, Butler 2019) der Beziehung zum totgeborenen Kind beschäftigen und nach deren Formen und Ermöglichungsbedingungen fragen. Todesanzeigen, Friedhöfe und Trauerforen im Internet erlauben es sowohl dem Totgeborenen zum betrauerbaren Subjekt zu werden als auch den hinterbliebenen Nicht-/Eltern eine auch ihrerseits subjektivierende Beziehung zu pflegen. Allerdings sind Erinnerungsorte in ihren Nutzungs-bedingungen teils stark reglementiert. Unter anderem dürfen Totgeburten, die weniger als 33cm Körperlänge aufweisen, in der Schweiz meist nicht auf öffentlichen Friedhöfen bestattet werden. Insbesondere für solche ‹Fälle› ist es folglich essenziell andere Orte zu finden, an denen Beziehungsgesten vollzogen und wahrgenommen werden können. Der zweite Teil meines Projektes wird solche (physischen und virtuellen) Orte in ihren performativen Dimensionen untersuchen. Darüber möchte ich zu einer Art des Storytellings gelangen, das Geschichten von Vergessenen, Verstorbenen und verwaisten Müttern nicht als Schicksalsschläge oder Trauerspektakel dramatisiert, sondern als Figurationen lebendiger, relationaler Subjektivierung artikuliert.

    Der dritte Projektteil - Sounding Stillbirth - untersucht (vor dem Hintergrund antizipierter Trauer) medizinische Beziehungstechnologien wie den Ultraschall oder das Cardiotokogramm (CTG) sowie pränatale Technologien, die auf dem Markt für Eltern frei erhältlich sind, auf ihre ästhetischen und biopolitischen Dimensionen sowie auf ihre künstlerisch-politischen Umfunktionierungspotentiale und fragt nach den spezifischen Figurationen von Schwangerschaft und Schwangerschaftsarbeit, die durch diese Technologien hervorgebracht werden.


    [1] Bisherige Listening Manifestos siehe hier: https://www.mixcloud.com/scas_soundmuehle/

    Details

    • Forschungsschwerpunkt
      • FSP Kulturanalyse in den Künsten
    • Projektleitung
      • Pascale Schreibmüller (FSP Kulturanalyse in den Künsten)
    • Team
      • Pascale Schreibmüller (FSP Kulturanalyse in den Künsten)
    • Kooperationen
      • Ines Kleesattel, FHNW, Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel, Institute Arts and Design Education (IADE)
    • Laufzeit

      01.01. – 30.11.2024

    • Finanzierung
      • Gosteli Stiftung (01.01. – 30.11.2024)
    • Forschungszugänge
      • Angewandte Forschung
      • Künstlerisch-wissenschaftliche Forschung
    • Disziplinen

      Cultural Critique

    • Schlagworte

      Weaving, Birthreites, Gossip, Erinnerungsgesten, Totgeburt, Pränataldiagnostik, Biopolitik, (m)others, queer archive, stillborn, Subjektivierung, Technofeminismus, Oral History, Erinnerung/Gedächtnis

    • Weitere Links
      • Pascale Schreibmüller