Das Projekt archiv performativ schliesst eine Lücke im Forschungsfeld zwischen Performance und Dokumentation. Es leistet einen grundlegenden Beitrag zur aktuellen Diskussion um zeitbasierte Kunst und ihre Archivierbarkeit, wobei in engem Bezug zur Praxis der aktuelle theoretische Diskurs über Methoden der Dokumentation aus verwandten Bereichen mit eingeschlossen wird.
Archive müssen sowohl handelnd angeeignet werden als auch Handlung provozieren können, um als Tradierungsmedium kulturell relevant zu bleiben. Dies gilt für alle Archive, besonders aber für das Archivieren und Tradieren von Performancekunst, das vom Projekt archiv performativ als Wechselverhältnis von Dokumentation und Re-Enactment thematisiert und für das ein exemplarisches Modell entwickelt werden soll, das dem Anteil der künstlerischen Praxis in diesem Wechselverhältnis einen grösseren Stellenwert einräumt als in traditionellen, institutionalisierten Archiven üblich ist. Das Projekt versteht Performancekunst – wie sie seit den 1990er-Jahren diskutiert wird – als Dispositiv, das sich aus Praktiken der Produktion, der Rezeption, der Archivierung, der Forschung und der Vermittlung zusammensetzt. Die amerikanische Performancetheoretikerin R. Schneider weist in ihrem 2001 verfassten Text «Performance Remains» mit Bezug auf Judith Butler darauf hin, dass Performancekunst sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie kontingente kulturelle Phänomene in Erscheinung bringt, in Erinnerung hält und kulturelle Codes – u. a. von Körpersprache und Medialität – umschreibt.
Das Konzept Schneiders, wonach bereits eine Performance mit und ohne technische Medien schon als eine Form der Aufzeichnung, also gleichsam als «Dokument» verstanden werden kann, soll auf Fragen der «Wieder-Aufführung» bezogen werden. Zugleich wird davon ausgegangen, dass umgekehrt sowohl der Performance wie auch ihren Dokumenten und Dokumentationen Performativität zugeschrieben werden kann. Dieses Konzept soll in künstlerischer, kuratorischer und vermittelnder Arbeit im Forschungsprojekt fruchtbar gemacht werden. Mittels kulturwissenschaftlicher und qualitativer Analysen werden fünf signifikante Sammlungen/Archive in der Schweiz und drei im Ausland nach ihren Praxen, Umfang und Sammlungskriterien befragt und untersucht. Weiteres Datenmaterial wird durch semistrukturierte Interviews mit Künstlerinnen, Forschern, Vermittlerinnen und Dokumentaristen gewonnen, deren anschliessende Auswertung den spezifischen Bedarf der potenziellen Nutzerinnen präzisieren wird. Dadurch können neue Parameter für die weitere Bearbeitung von Performancekunst in zeitbasierten Archiven modellhaft aufgestellt und den Praxispartnern zur Verfügung gestellt werden: Ein «Modellarchiv» temporär im Ausstellungsraum Klingental (Praxispartner) gezeigt, wird während eineinhalb Monaten von vier Teams, bestehend aus Künstler*innen, Kurator*innen, Forschenden, Lehrenden und Dokumentierenden performativ bespielt und die Ergebnisse fliessen in eine wissenschaftliche Tagung mit Vorträgen und Liveperformances vom 6. bis 8. Oktober 2011 im Theater Kaserne Basel (Haupt-Praxispartner) ein. Im Zuge der empirisch-qualitativen, praxisgeleiteten künstlerischen Forschungen und kulturanalytischen Auswertungen wird ein Kriterienkatalog erarbeitet, der Standards für die notwendige Beschaffenheit der Dokumente festlegt und unterschiedliche Materialien und Strategien beschreibt, die ein archiv performativ kennzeichnen kann, in dem das performative Wechselverhältnis von Theorie und Praxis paradigmatisch zum Zug kommt.
Im Verlauf des Projekts entsteht ein Handbuch sowohl für potenzielle Nutzer*innen als auch die Verantwortlichen in den Archiven/Sammlungen, das verstärkt aus theoretischer Perspektive Vorschläge für die Archivierung macht, die wiederum von anderen Archivinitiativen genutzt werden können. Im günstigsten Fall kann dies dann zu einer Vereinheitlichung der Archivierungspraxen und zu verbesserten Vernetzungsmöglichkeiten zwischen Archiven führen. Die Mitarbeit von und die Kooperation mit Archivexperte*innen (SIK und MAdeK der ZHdK) gewährleistet den Transfer in Datenerhebungen und Programme.
Das Projekt archiv performativ soll eine Lücke im Forschungsfeld zwischen Performance und Dokumentation schliessen. Es leistet einen grundlegenden Beitrag zur aktuellen Diskussion um zeitbasierte Kunst und ihre Archivierbarkeit, wobei in engem Bezug zur Praxis der aktuelle theoretische Diskurs über Methoden der Konservierung und Dokumentation aus verwandten Bereichen mit eingeschlossen wird.