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    Bilder verstehen: Zur Visual literacy in der Schweiz am Beispiel der Fotografie im musealen Kontext

    Institut für Theorie (ith) (bis 2019)

    Das Forschungsprojekt steht in einem grösseren Zusammenhang von abgeschlossenen und laufenden Vorhaben am ith zur Bildpraxis. Die Produktion, Archivierung, Verwendung, aber auch die Rezeption und Wirkung in erster Linie von Medienbildern wird dabei untersucht.

    Das Forschungsprojekt steht in einem grösseren Zusammenhang von abgeschlossenen und laufenden Vorhaben am ith zur Bildpraxis. Die Produktion, Archivierung, Verwendung, aber auch die Rezeption und Wirkung in erster Linie von Medienbildern wird dabei untersucht.

    Das neue Vorhaben stellt einen ersten Schritt dar, den Stand der "Visual literacy" in der Schweiz mit Hilfe qualitativer sozial- und bildwissenschaftlicher Methodik zu ermitteln und Massnahmen zu ihrer gezielten Entwicklung auszuarbeiten. Das Projekt geht von der Beobachtung aus, dass der Anstieg der medialen Informationsdichte gerade im visuellen Bereich den Einzelnen oft überfordert. Die Bilder können in einer solchen Situation nicht mehr mit den bestehenden Ordnungsmustern verglichen und beurteilt werden. Um das weite Feld der Medienbilder und -praktiken einzugrenzen, wird die Untersuchung am Beispiel der Rezeption von Fotografie im musealen Kontext durchgeführt.

    Ort und Medium besitzen paradigmatischen Charakter. Aktuelle empirische Untersuchungen und Theorien über die Mediennutzung weisen die  Beziehung zwischen den Museen, den ausgestellten Objekten und den Besuchern als dynamisch und wechselseitig aus. Sofern man das eindimensionale Sender-Empfänger-Modell aufgibt, versprechen Analysen in diesem Forschungsfeld Einsichten das visuelle Kommunikations- und  Lernverhalten. Fotografie eignet sich für unsere Fragestellungen des­halb besonders gut, weil viele Aufnahmen von ihren ursprünglichen Gebrauchs- und Darstellungsformen bis zu ihrer Präsentation und Rezeption in den Museen eine kleinere oder grössere Transformation durchmachen, weil sie nach ihrem Eintritt in diesen Kontext neu überschrie­ben und interpretiert werden.  Da die verschiedenen Bevölkerungs- und Altersgruppen bei der Aufnahme dieser polysemantischen Botschaften Unterschiede aufweisen dürften, wird das Publikum segmentiert, wobei der Schwerpunkt bezüglich des Alters auf Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt.

    Das Forschungsprojekt wird somit auch einen Beitrag an die in der Schweiz noch nicht verankerten "Museum visitor studies" leisten, denn ein besonderes Interesse gilt den eng verzahnten Vorgängen der Auf-, Um- und Entwertung von Bildern in Museen und Ausstellungen, bei denen Vermittler und Rezipienten beteiligt sind und in denen sich kulturelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen manifestieren. Eine vornehmlich qualitative Forschung zu diesen Fragestellungen im Ausstellungs- und Museumszusammenhang bezogen auf Bilder bzw. Fotografie ist nicht nur in der Schweiz ein Desiderat. Die Studie soll die vielfältigen Faktoren, die die Wirkung und Rezeption visueller Informationen im musealen Rahmen beeinflussen, untersuchen, um die Kommunikation zwischen Ausstellungsmachern und den diversen Publika zu optimieren. Nur so werden Museen in die Lage versetzt, ihre Möglichkeiten bei der Förderung der "Visual literacy" auszuschöpfen.

    Was ist Visual literacy?
    Da sich die Kommunikation und die Interaktion von Menschen mehr und mehr im visuellen Bereich abspielen, gehört das Wahrnehmen, Verstehen, Interpretieren und Beurteilen von Bildbotschaften zu den wesentlichen kulturellen Techniken in der globalisierten Gesellschaft. Viele gegenständliche Bilder scheinen zwar auf den ersten Blick alles zu zeigen, was sie mitteilen wollen, dennoch braucht es meist noch historische, kulturelle und ästhetische Erfahrung und Wissen, damit sich ihr Sinn erschliesst. Ihre komplexe Bedeutung kann sich bis zu einem gewissen Grad von der Sprache und ihrer Begrifflichkeit emanzipieren.

    Das Projekt geht von der Prämisse aus, dass die Wirklichkeit(en) und populären oder künstlerischen Welten, die uns umgeben, kulturelle Konstrukte mit ihren je eignen Kodes sind. Auch Bilder mit wahrnehmungsnahen Zeichen, die ­- wie die meisten Fotografien - die Realität scheinbar fixieren, müssen demzufolge nicht nur wahrgenommen, sondern auch dekodiert und interpretiert werden. Dies sind Prozesse, die in vielen Fällen automatisiert oder halbautomatisiert ablaufen und kaum noch reflektiert werden.  Bei der vollständigen Interpretation von visuellen Repräsentationen müssen jedoch die jeweiligen sozialen, kulturellen, technischen oder individuellen Bedingungen der Produktion, medialen Verbreitung und Rezeption berücksichtigt werden, was in vielen Fällen einen bestimmten Wissenstand voraussetzt. Die eigenen visuellen Erfahrungen sind dabei nur ein Teil der visuellen Kulturalisierung. Grundannahme ist, dass die Erfahrungen, Einsichten und Lernleistungen, die anhand visueller Daten erfolgen, sich von denjenigen differenzieren, die anhand sprachlicher Texte gemacht werden. Wobei Bilddaten ihre Besonderheiten haben, denn das "Bild" ist nicht mit dem "Visuellen" gleichzusetzen.

    Visuelle literacy soll uns in die Lage versetzen, an der visuellen Kultur als Rezipienten oder Produzenten aktiv teilzunehmen. Sie befähigt dazu, die visuelle Kulturalisierung aktiv mitzubestimmen, indem wir auf die visuellen Angebote emotional und kognitiv reagieren, sie  geniessen oder sie verabscheuen, sie aber auch kritisch hinterfragen - seien es nun massenmediale, populäre oder künstlerische Bilder. Dazu müssen die in ihnen angelegten Muster, Verhaltensregeln, Blicklenkungen, die ihrerseits zur Konstruktion, Identifikation und Kontrolle von Subjekten und Kollektiven beitragen, gelesen oder durchschaut werden. Es geht bei der Visual literacy also nicht nur um das Kennen und Beherrschen von visuellen Techniken und Medien, sondern auch um das Bewusstsein von psychischen und kognitiven Einflüssen von Bildern. Nur wer eine kritische "Sehverstehenskompetenz" (Visual literacy) besitzt, kann sich in der Bilderschwemme, die von der Werbeanzeige bis zum Computerspiel reicht, behaupten. Es geht dabei darum, die offensichtlichen und geheimen Kommunikationsstrategien von Bildern zu erkennen, explizite und implizite Botschaften aufzunehmen und den Wirklichkeits- oder Wahrheitsanspruch von Bildern zu überprüfen. Visual Literacy führt in einem zweiten Schritt zum Bedürfnis, selbst vermehrt in verschiedenen Situationen Bilder zu verwenden, mit ihnen zu kommunizieren und Geschichten zu erzählen.

    Im Zuge des "Pictural turns" wird häufig die Differenz der Bilder zu anderen Kommunikationsformen, vor allem der Sprache und verbalen Texten, betont. Andererseits sehen neuere Modelle die Visual und Linguistic literacy nicht mehr als Gegensätze, vielmehr komplimentieren sie die beiden Fähigkeiten. Auch wenn es imaginale und verbale Menschentypen geben mag, so ist die einseitige Entwicklung der verbalen oder visuellen Kompetenzen aus dieser Sicht immer ein Defizit.

    Emotionale Bildrezeption und Emotionalisierung der Medieninhalte
    Die Bilderflut löst deshalb Unbehagen, ja Ängste aus, weil die bestehenden Beurteilungs- und Ordnungsschemata nicht mehr greifen - Habitus und aktuelle Situation kommen nicht zur Deckung. Man ist ständig gezwungen, das bestehende Welt- und Selbstbild, das nicht zuletzt durch die visuellen Daten generiert wird, zu revidieren. Als Folge davon fühlt man sich in seinem eigenen Bewusstsein nicht mehr zu Haus. Verunsicherung, Niedergeschlagenheit, aber auch Aggression können als direkte oder indirekte Auswirkung zunehmen. Die Emotionalisierung der Medieninhalte und der Anstieg medialer Gewaltdarstellungen scheinen mit diesem Befund zusammenzuhängen. Welche Relationen zwischen fotografischen Bildern und der Stimmungslage der Menschen bestehen, soll mit Hilfe des gewählten Forschungsdesigns unter anderem eruiert werden.

    Wie immer das Resultat ausfällt, es ist ein Faktum, dass die Emotionalisierung der Medieninhalte mit dem Ziel die Aufmerksamkeit möglichst vieler Betrachter zu erregen, stetig voranschreitet. Das Individuum vermag sich den medialen Gefühlswelten nur freiwillig hinzugeben oder zu entziehen, wenn es die ausgelösten Affekte und Stimmungen verarbeitet, indem es die Ästhetik und Inhalte, aber auch die Funktions- und Wirkungsweisen der Bilder versteht und reflektiert.

    Ein Schwergewicht der Analyse ist deshalb das  Erfassen der Emotionen, die durch die Fotografien ausgelöst werden. Ihre Art, aber auch ihre Stärke und Dauer werden erhoben. Es soll auch aufgezeigt werden, wie Affekte die Sinnbildungsprozesse und die Beurteilung der wahrgenommenen Objekte beeinflussen, da angenommen wird, dass zwischen der emotionalen und kognitiven Ebene gerade bei der visuellen Kommunikation eine intensive Wechselwirkung besteht.

    Details

    • Projektleitung
      • Matthias Vogel Hillmann (ith (bis 2019))
    • Team
      • Ulrich Binder (ith (bis 2019))
      • Isabel Willemse (Departement Angewandte Psychologie ZHAW)
    • Kooperationen
      • Daniel Süess, Departement Angewandte Psychologie ZHAW
    • Laufzeit

      01.05.2011 – 01.03.2013

    • Finanzierung
      • Schweizerischer Nationalfonds SNF/DORE (01.05.2011 – 30.04.2013)
    • Forschungszugänge
      • Grundlagenforschung
      • Künstlerisch-wissenschaftliche Forschung
    • Schlagworte

      Visual literacy