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    Mehr zu: Forschungsschwerpunkt Transdisziplinarität

    Forschungsprofil

    • Interview mit Florian Dombois

    Der Forschungsschwerpunkt Transdisziplinarität (fsp-t) unter der Leitung von Prof. Dr. Florian Dombois bietet Raum für die künstlerische und wissenschaftliche Produktion und Reflexion. Er ist ein Ort, an dem sich unterschiedliche Haltungen, Praxen und Methoden aus den Künsten und Wissenschaften gleichberechtigt begegnen. Dabei steht explizit nicht das Problem im Zentrum, sondern der Leerraum, in dem sich die beteiligten Künstler*innen und Wissenschaftler*innen exponieren und sich so gegenseitig bei der Arbeit beobachten können. Konkret betreibt der fsp-t ein Windtunnellabor, dessen Mitte und Medium unsichtbar bleiben, solange nicht jemand den Wind und damit sich selbst visualisiert.

    Wiederkehrendes Thema ist das Modell. Z.B. als ein Testobjekt in der Messstrecke und damit die Frage: Wie begegnen sich das verbale und das non-verbale Denken?
    Wiederkehrendes Thema ist die Skalierung. Z.B. als scale effect eines Experiments und damit die Frage: Wie verändern sich die Dinge und Fragen, wenn man sie in den Aspekten Raum, Zeit, Energie oder Anzahl redimensioniert?
    Wiederkehrendes Thema ist der Wind. Z.B. als Strömung um einen Körper und damit die Frage: Wie wollen wir mit der Zeitlichkeit des Wissens umgehen? Denn wo ist der Wind, wenn er nicht weht?

    Der fsp-t ist auf maximal zwei bis drei gleichzeitige Forschungsprojekte ausgelegt. Das geschieht aus der Überzeugung, dass die angestrebte künstlerische Qualität nur im kleinen Rahmen realisierbar ist. Gleichwohl besteht der Anspruch, dass sich Konzepte, Vorgehensweisen, Ergebnisse aus den Aktivitäten des fsp-t in anderen Instituten und Projekten fruchtbar machen lassen, dass also die Arbeit prototypisch funktioniert. In diesem Sinne engagiert sich der Leiter des fsp-t Dombois auch seit einigen Jahren im Bereich des künstlerischen PhD. Ziel ist es, ein Curriculum zu entwickeln und zu ermöglichen, innerhalb dessen die Künste nicht von wissenschaftlichen Erwartungen überrollt werden, sondern zu einer ihren Disziplinen entsprechenden Form finden. Und das vor allem, um in der Begegnung von Kunst und Wissenschaft eine Begegnung auf Augenhöhe sicherzustellen.

    Dombois und sein Team ermöglichen Situationen, in denen Forschende aus Kunst und Wissenschaft miteinander Geschichten entwickeln, also aus dem Systematischen in das Episodische übertreten. Dabei ist ein wesentliches Ziel, den Riss in der Wirklichkeit zu entdecken, zu öffnen und zu weiten, dessen eine Seite von der gegebenen Freiheit und dessen andere von der sich-genommenen Freiheit gerahmt wird. Wo sich eine Öffnung zwischen vorher getrennten Räumen auftut, findet ein Druckausgleich statt. Die Meteorologen nennen dieses Phänomen Wind.

    Zu den Forschungsberichten:

    Forschungsbericht 2024
    Forschungsbericht 2023
    Forschungsbericht 2022

    Forschungsberichte ZHdK vor 2022 
     

    Interview mit Florian Dombois

    von Helene Romakin
    April 2025

    In diesem Interview blicken Florian Dombois und ich auf seine wegweisende Rolle im Bereich der künstlerischen Forschung und den Weg, der ihn dorthin geführt hat, zurück. „Ich hatte schon im ersten Semester Zweifel an der Geophysik und dem naturwissenschaftlichen Ansatz, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, das Studium abzubrechen“, sagt er rückblickend über den Beginn seines Studiums. Seit 2022 arbeite ich mit Florian als seine wissenschaftliche Assistentin und Co-Kuratorin des jährlichen Wind Tunnel Festivals an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zusammen. Gemeinsam mit unserer Kollegin Berit Seidel vom Künstler*innenkollektiv U5 erforschen wir in unserer akademischen und künstlerischen Praxis Strategien, Methoden und Formate des In-der-Welt-Seins. Florian ist seit 2012 Künstler und Professor im Forschungsschwerpunkt Transdisziplinarität an der ZHdK, wo er künstlerische Forschungsprojekte leitet und ein künstlerisches Doktoratsprogramm gegründet hat. Seine künstlerische Praxis reicht bis in die 1990er Jahre zurück – die Gründungszeit der künstlerischen Forschung. Für uns schien dies ein passender Moment, um Florians Arbeit zu reflektieren und einen Schritt zurückzutreten, um die frühen Anfänge eines heute viel diskutierten Feldes – der künstlerischen Forschung – zu betrachten.


    Helene Romakin: Du kannst auf eine sehr transdisziplinäre Ausbildung und Karriere zurückblicken, die du seit den 1990er Jahren in unterschiedlichen Institutionen als auch als freier Künstler aufgebaut hast. Lass uns von vorne anfangen: Du hast zunächst Geophysik an der Technischen Universität Berlin studiert, parallel auch in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte und -theorie reingeschaut, bis du schließlich eine Doktorarbeit mit dem Titel «Was ist ein Erdbeben? Ein Versuch zur Erweiterung seismologischer Darstellungsweisen» in den Kulturwissenschaften abschlosst. Danach gingst du in die Kunst. Könntest Du ausführen, welche Interessen dich für die unterschiedlichen Disziplinen motiviert haben?  

    Florian Dombois: Das kann ich nicht in zwei Sätzen beantworten. Es war eine Suche, eine Entwicklung, die die Umwege brauchte: Ich habe mich 1986 für ein Studium in Geophysik und Philosophie an der Technischen Universität Berlin eingeschrieben. Damals war an der HdK, heute Universität der Künste Berlin, die Malerei der Neuen Wilden auf dem Plan. Deren Rückkehr zum figurativen Tafelbild hat mich aus verschiedenen Gründen nicht interessiert. Ich habe die Energie in Vulkanen und Erdbeben gesucht. Ich wollte unsere Umwelt und unsere Erde verstehen. In der dritten Woche meines Studiums ereignete sich Tschernobyl. Im «Projektlabor», einem selbst angeleiteten Physik-Praktikum, hatten wir Zugang zu Geigerzählern und begannen sofort zu messen: das Moos auf dem Dach des Physikgebäudes. Als dann der erste Regen kam und mit ihm der Fallout über West-Berlin, war es kaum auszuhalten, wie sehr das Messgerät knatterte. Man konnte nichts Besonderes sehen, es waren nur die Nachrichten und dieses Messgerät, dass uns die Lebensgefahr anzeigte.

    HR: Das muss ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein…

    FD: Ja, und die Messung empfand ich als eine eigentümliche Mischung aus Empowering und Ohnmacht. Die Philosophie half mir dabei, den Reduktionismus der Geophysik auszuhalten, in der sich alle so anders artikulierten als in der Kunstwelt, in der ich aufgewachsen war. Ich habe bereits ab dem ersten Semester an der Geophysik und dem Ansatz der Naturwissenschaften gezweifelt, konnte mich aber nicht zum Studienabbruch durchringen. Einerseits interessierten mich die Theorien der Tektonik zu sehr; ich war und bin auch heute immer noch dankbar für die Fähigkeit, die prägenden Dynamiken in der Landschaft lesen zu können. Andererseits hatte nichts von dem, was mich im Herzen begeisterte oder auch besorgte, Raum in den Seminaren, Abschlussarbeiten oder Lehrbüchern. Das für mich Wichtige, das Furchteinflössende, das Bewegende blieb unausgesprochen, verdrängt, ja aktiv ausgeschlossen. Ich musste mir eigene Räume bauen.

    HR: Die ersten Projekte, in denen Du Disziplinen übergreifend gearbeitet und diese neue Möglichkeitsräume erschaffen hast, waren dann dennoch in einem Wissenschaftszentrum der Geophysik.

    FD: Ja, ich versuchte die beiden Realitäten übereinander zu bringen. Ich legte während meines Praktikums beim Hawaiian Volcano Observatory für unsere Messungen ein Kabel in einem Quadrat mit 1 km Seitenlänge aus. Ich lief die Gerade durch das Gelände über Stock und Stein und dachte an Richard Longs «A Line Made by Walking» (1967). Oder an der Universität Kiel, als ich Tutor für Potentialtheorie war, liess ich die Gruppe die elektrischen Feldlinien von Walter De Marias «The Lightning Field» (1977) zeichnen und ausrechnen. Meine Mitstudierenden hat das kalt gelassen, für mich war das meine Energiequelle.

    1992 schrieb ich mein Diplom über Eigenschwingungen von Weissen Zwergen und Neutronensternen. Anschliessend machte ich eine Wanderung durch Deutschland, die Schweiz bis nach Frankreich auf der Suche nach Gleichgesinnten und Vorbildern, die zwischen Wissenschaft und Kunst arbeiteten. Mir wurde klar, dass ich noch ein paar Semester Wissenschaftsgeschichte, -theorie und -ethik studieren wollte. Der Wahrheitsanspruch in den Naturwissenschaftler:innen empfand ich als zu ideologisch, und trotz des absoluten Rationalitätsanspruchs als zu emotional verteidigt. Der ewige Hinweis, dass die Wissenschaft neutral sei und ausserhalb moralischer Verantwortung für die Umweltkatastrophen oder gesellschaftliche Ordnungen, überzeugte mich nicht. Ich fing an, mich mit den Darstellungsformen der Wissenschaften und ihren epistemischen Implikationen und Grenzen zu beschäftigen. Daraus entstand meine Dissertation mit der Frage «Was ist ein Erdbeben?».

    HR: Wie waren die Anfänge? Fandest Du in Deinem Ansatz Unterstützung in Akademie und Kunst?

    FD: Zunächst stieß ich auf Grenzen. Der Professor meines Geophysikdiploms, Jochen Zschau, ein bekannter Seismologe wollte die Doktorbetreuung nicht übernehmen, weil er sich nicht kompetent fühlte. Das war sehr ehrlich gemeint. Zschau ist ein grossartiger Wissenschaftler und Mensch. Ich ging zu Hartmut Böhme, der mich glücklicherweise trotz fehlenden geisteswissenschaftlichen Abschlusses an dem gerade gegründeten Institut für Kulturwissenschaften an der Humboldt Universität aufnahm. Mit der Dissertation konnte ich meine Zweifel an der Wissenschaft am Beispiel der Erdbeben differenzieren und meine Kritik wieder in ein Handeln wenden. Ich begann die seismischen Signale zu sonifizieren und das Hören von naturwissenschaftlichen Messdaten als ein alternatives Natur- und Weltverständnis zu entwickeln. Nach der Verteidigung im Jahr 1998 hielt ich dazu Vorträge. Nur schon die Infrastruktur war fast nirgends vorhanden: Oft genug brachten meine Gastgeber:innen ihre Stereoanlagen von zuhause in den Vortragssaal.

    Gleichzeitig zu diesen Vorträgen in den Naturwissenschaften war mir nun klar, was ich künstlerisch machen wollte: Klanginstallationen bauen und in dem seismisch-sonischen Material baden. Ich wollte hören, was in der Erde los war. Ich entdeckte die verschiedenen Klangfarben der unterschiedlichen Stationen, ihre täglichen und saisonalen Schwankungen (Surf, 2006). Das seismische Detail wurde zunehmend interessanter, die vielen Versionen des Rauschens und Knisterns. Ich baute mir eine 5.1 Kanalinstallation, in der ich von Hawaii aus den «Ring of Fire» auf mich wirken lassen konnte (Circum Pacific, 2003). Und dann 2010 bekam ich Zugang zu Daten des zweitgrössten, je gemessenen Erdbebens, 2004 in Sumatra, das wegen des gleichzeitig ausgelösten, katastrophalen Tsunamis bekannt geworden ist und dessen Nachschwingen für mehr als drei Monate auf der ganzen Erdkugel messbar war. Dieser Glockenschlag, diese enorme Eigenschwingung unseres Planeten war dann erstmal ein vorläufiger Abschluss meiner seismischen Klangarbeiten (Free Oscillation, 2010). Mir war zum Schweigen zumute.

    • Photo: Florian Dombois, Circum Pacific 5.1, website screenshot, 2010Photo: Florian Dombois, Circum Pacific 5.1, website screenshot, 2010
    • Photo: Florian Dombois, Surf, installation view, 2006, Fotografie: Helmut Kunde, KielPhoto: Florian Dombois, Surf, installation view, 2006, Fotografie: Helmut Kunde, Kiel

    HR: Zurückblickend, was würdest du sagen, welche Methoden, Gedankengänge und vielleicht sogar die Art des Denkens, Du aus der Geophysik mit in deine Kunstpraxis genommen hast? Und umgekehrt, welche künstlerischen Ansätze haben dich bereits während deiner Ausbildung in Geophysik und Kulturwissenschaft geprägt? Ich denke hier beispielsweise an die Arbeit „Using Audification in Planetary Seismology” (2001), in der du nach formellen Begrenzungen im wissenschaftlichen Arbeiten gefragt hast, die Kreativität und das kritische Denken stark beeinflussen.

    FD: In den Naturwissenschaften habe ich das Format der Forschungsprojekte kennengelernt, in denen sich die Beteiligten als ein Kollektiv auf Zeit synchronisieren; in denen man eine gemeinsame Choreografie von mehreren Jahren entwerfen und vollziehen kann; und in denen es darum geht, etwas von Anderen aufzunehmen und etwas an Andere weiterzugeben. Die Geophysik hat mich gelehrt, in grossen Zeit- und Raumdimensionen zu denken und wie diese sich gleichwohl im Kleinen, Konkreten wiederfinden lassen; also im Denken immer wieder zu skalieren und Vergleiche zu finden. Aus der Geophysik kommt mein Interesse für Instrumente, insbesondere wenn sie Phänomene anzeigen, die sich unseren Sinnen entziehen. Ein Seismometer kann unmerkbar kleine Schwingungen erfassen, oder das bereits genannte Beispiel des Geigerzählers eröffnet eine Ebene der Realität jenseits der Wahrnehmung. Und sie hat mich noch etwas gelehrt: wie eine gute Erzählung die Wahrnehmung ändern kann. Wenn du mit Geologen:innen einen einfachen Stein besprichst, dann bringt er oder sie das Handstück in den Kontext von enormen Kräften und Zeiträumen, z.B. von ehemaligen Riesenmeeren und Urkontinenten und Dinosauriern und Meteoriteneinschlägen, und dann ist der Stein auf einmal aufgeladen, dann sprudelt er über vor Erzählungen.

    Und umgekehrt, seitens der Kunst, da hat mich Fluxus beeindruckt; einzelne Ausstellungen, die ich während meiner Kindheit gesehen habe, wie die «documenta 5» (1972), «SoHo – Downtown Manhattan» (1976) und «Für Augen und Ohren» (1981) in der Akademie der Künste Berlin. Ich sah viele Happenings. Der Bezug auf das Ephemere, die Probe, das Prozesshafte ist sicherlich etwas, was bis heute in meiner Praxis zu sehen ist. Für unser Gespräch ist die Referenz auf die 1970er vermutlich hilfreich. Philip Ursprung spricht in seinem Buch «Grenzen der Kunst. Allan Kaprow und das Happening, Robert Smithson und die Land Art» davon, dass in der Kunst der 1970er Vieles angelegt sei, was dann nicht weitergeführt wurde, «a route not taken». Ich glaube, ich bin auf dieser Strasse, auch wenn in einem anderen Gelände und in einem anderen Gefährt.

    HR: Könntest Du das noch ausführen? Welchen Weg, der nicht gegangen wurde, meinst du?

    FD: Mich interessiert an den 1970ern der Aufbruch, die Kunst auch jenseits des Artefakts und jenseits des Museumsraums zu denken. Wenn ich in eine Kunstausstellung gehe, sehe ich jedem ausgestellten Werk an, wie gross die Zugangstüren der Räume sind. Natürlich ist es für den Kunsthandel gut, wenn es Objekte gibt, die in eine Wohnung passen. Und ich kann mit den Sammler:innen mitfühlen, die in den Kunstwerken leben wollen. Aber Kunst ist für mich mehr. Sie betrifft meine ganze Existenz in dieser Welt. Durch sie setze ich mich in ein Verhältnis zu den Fragen unserer Zeit und durch sie versuche ich mir die Wirklichkeiten zu eröffnen, in denen ich leben möchte. Die Kunst fordert mich, meine eigenen blinden Flecken immer wieder aufzuspüren und auszuleuchten, die Welt anders zu denken, meine Wahrnehmung und Sensibilität zu öffnen, mich zu bilden. Es ist ein Verzicht auf Stabilität und Sicherheit, ein fragiler Freiraum, den ich bekomme und den ich gleichzeitig selber herstellen muss. Dabei spielen Artefakte oder auch Produkte eine Rolle, aber für mich sind sie nicht das einzige Ziel.

    HR: Mit deinem Werdegang lagst du mitten im Zeitgeist: Du bist ein Pionier der künstlerischen Forschung zwischen Kunst und Wissenschaft, einer Bewegung, die sich in den 1990er Jahren formte. Wie erlebtest du die Anfänge dieses Paradigmenwechsels in der Kunst? Wie schätzt du den Diskurs um künstlerische Forschung heute ein? Haben sich die Fragestellungen, Methoden und Darstellungsformen geändert?

    FD: Du hast recht, die 1990er Jahren waren ein Anfang von Artistic Research. Tom Holert hat im Heft «Artistic Research» der Texte zur Kunst (2011) darauf hingewiesen, dass die künstlerische Forschung auch eine Folge der institutionellen Veränderungen der Kunsthochschulen sei, weil in den 1990ern in Skandinavien den Kunsthochschulen das Promotionsrecht gewährt wurde und sie begannen PhDs an Künstler:innen zu vergeben. Das ist sicher eine der Kräfte, die bis heute wirken.

    In den 1990ern begann aber auch in der Kunstwelt eine gegenseitige Annäherung von Kunst und Wissenschaft. Mir scheint, damals ging es vielen um die Entdeckung der Naturwissenschaften und des Technischen als einen ästhetischen Raum. Für mich war das einerseits gut, weil ich meine Themen wieder im künstlerischen Kontext anbringen konnte. Andererseits ging und geht mir diese Begegnung von Kunst und Wissenschaft da nicht tief genug, wo sie nur die Oberflächen kopiert. Es ist für mich sehr viel mehr als eine Stilfrage oder gar ein Exotismus. 

    Ich versuchte und versuche immer wieder grundsätzlich zu fragen, auch wenn es meine Arbeiten schwerer lesbar macht, weil sie oft erst auf den zweiten Blick ihre Kontur gewinnen: Wie können wir von den Erfahrungen der Wissenschaften mit dem Format Forschung lernen, ohne Komplizen ihres Alleinerklärungsanspruchs zu werden? Wie können wir der Kunst wieder etwas zutrauen, sie als gesellschaftliche Kraft ernst nehmen? Ich suche mit der Künstlerischen Forschung nach anderen, nachhaltigeren Formen des in-der-Welt-Denkens und -Seins. Bei der Suche springe ich von einem auf das andere Bein, mal Künstler mal Wissenschaftler, und die künstlerische Forschung erlaubt mir, beide Sparten kritisch in den Blick zu nehmen.

    • Florian Dombois, Art as Research, 2006Florian Dombois, Art as Research, 2006
    • Florian Dombois, Seismic Stations, 2002Florian Dombois, Seismic Stations, 2002
    • Florian Dombois, Using Audification in Planetary Seismology, 2001Florian Dombois, Using Audification in Planetary Seismology, 2001

    HR: In deinem Künstlerbuch “Palaver” (2008), welches du gemeinsam mit Eran Schaerf konzipiert und geschrieben hast, fragst du nach dem Ort, an dem die künstlerische Forschung ihre Ergebnisse präsentieren und debattieren kann. Habt ihr einen solchen Ort gefunden?

    FD: Auslöser des Projekts waren Preisgelder der Kunsthalle Bern für Vermittlungsarbeit. Ich überredete Philippe Pirotte, den Direktor, die Verhandlung eines Kunstwerks unter Kunstschaffenden als Vermittlungsformat zu denken. Ich konnte Eran Schaerf gewinnen, ein ausgebildeter Architekt und grossartiger Denker und Künstler, und wir diskutierten beide eineinhalb Jahre lang, eigentlich selbst schon ein Palaver. Der Vorschlag, der dabei herauskam, ist einfach: Man soll den Moment des Präsentierens von einem Werk örtlich von dem Moment des Verhandelns trennen, z.B. durch einen Paravent.
    Diese Trennung hilft unter anderem, dem/der jeweils vorstellenden Künstler:in ihre / seine Doppelrolle als Autor:in des Werks und als Betrachter:in der eigenen Arbeit für alle sichtbar auseinanderzuhalten. Hier kann er / sie die Arbeit verteidigen, dort kritisieren.
    Die erste Durchführung fand in der Kunsthalle Bern statt. Danach haben wir das Palaver noch mehrere Male an der Berner und der Zürcher Hochschule der Künste durchgeführt. Ich finde das Layout vom Palaver nach wie vor sehr geeignet, und wir nennen es auch in dem neuen PhD-Heft «Formate des Forderns», das in Kürze rauskommt.

    HR: Hast Du diesen Ansatz eines Peer-Diskurses unter Kunstschaffenden noch irgendwo anders ausprobieren können?

    FD: Ungefähr zeitgleich zum Palaver habe ich 2008 in Berlin einen Conference Stream bei der «European Society for Literature, Science, and the Arts» als Ausstellung konzipiert. Den Stream nannte ich «Art as Research». Es gab einen Call und dann haben Bergit Arends, Sabine Flach und ich die eingesandten Arbeiten peer-reviewed. Schon der Prozess war für alle neu. Für die Ausstellung mietete ich die Villa Elisabeth und mit Ellen Blumenstein haben wir neun künstlerische Arbeiten kuratiert, u.a. zeigte Christoph Keller «Visiting a Contemporary Art Museum under Hypnosis» und ich zeigte meine Arbeit «Surf» (2006). Es gab parallel ein Film Screening von Eran und Eva Meyer und ein Sonifikationskonzert, bei dem u.a. Wolfgang Müller zum ersten Mal öffentlich seine «Séance Vocibus Avium» spielte. Das Echo war gross bei Publikum und Presse, die TAZ titelte «Erderschütterung».

    Bei der Ausstellung war u.a. Michael Schwab dabei, und wir beide haben uns, ohne dass wir uns kannten, extrem angeregt unterhalten. Dabei kam raus, dass auch er über ein Publikationsforum für künstlerische Forschung nachdachte, und so haben wir beide ein online «Journal for Artistic Research» konzipiert. 2009 gingen wir zusammen nach Bergen zur „Sensuous Knowledge“ Konferenz und begannen zusammen mit Henk Borgdorff die Player der künstlerischen Forschung anzusprechen, inklusive ELIA und AEC. Und dann lud ich alle im Jahr drauf nach Bern ein, wo wir das Journal, den Research-Catalogue und die «Society for Artistic Research» diskutierten, die dann dort mit 80 Anwesenden gegründet wurde. Ich habe Michael und die Konferenz und den ganzen Start finanziert. Das Unternehmen war für uns alle ein kollektiver Akt. Inzwischen hat der Research Catalogue knapp 30'000 User.

    HR: Steigen wir tiefgehender in deine künstlerische Praxis ein. Deine frühen künstlerischen Arbeiten wie zum Beispiel Circum Pacific 5.1 (2003) sowie auch deine Doktorarbeit (1998) beschäftigten sich mit den Darstellungsformen von den gesammelten Daten in der seismologischen Forschung. Dein Fokus lag dabei stehts auf der auditiven Ermessung, Wahrnehmung und Darstellung von Umgebungen und Umwelten. Könntest Du über die Anfänge und Ursprünge deines Interesses zum Auditiven sprechen?

    FD: Ich erinnere mich an zwei Anfänge. Der spätere war im Sommer 1993, als ich bei einem Vortrag zum Thema «Hören und Sehen» sass. Dabei fiel mir aus heiterem Himmel die Gleichartigkeit einer seismischen Kurve und eines Sonogramms vor Augen. Ich rannte aufgeregt nach Hause. Da ich nicht genug programmieren kann und auch kein Geld hatte, folgte eine kleine Odyssee der Überredungskünste, bis ich in der Wohnung eines Freunds von einem Freund mein erstes Seismogramm hörte. Die Computerboxen waren viel zu klein, und dennoch wirkte das sonifizierte Erdbeben ungeheuer mächtig. Es hatte eine Präsenz, die mit dem gezeichneten Seismogramm nicht zu vergleichen war. Dank der sonifizierten Daten konnte ich die Erde als Klangkörper begreifen. In meiner Dissertation habe ich dann viele phänomenologische und philosophische Argumen­te für das Hören gesammelt, insbesondere als eine alternative Epistemologie.

    Für mich war das der Durchbruch in meiner Suche danach, wie ich die Umwelt nicht beherrschend, nicht extraktivistisch darstellen und untersuchen könnte. In meiner Dissertation zitiere ich eine Überlegung von Georg Picht, die für mich bis heute zentral ist: «Die Menschheit ist heute in Gefahr, durch ihre Wissenschaft von der Natur den Bereich der Natur, in dem sie lebt und der ihrem Zugriff ausgesetzt ist, zu zerstören. Eine Erkenntnis, die sich dadurch bezeugt, daß sie das, was erkannt werden soll, vernichtet, kann nicht wahr sein. Deswegen sind wir heute gezwungen, die Wahrheit unserer Naturerkenntnis in Frage zu stellen.» (Picht, Georg: Der Begriff der Natur und seine Geschichte. 2. Aufl. Stuttgart 1990, S. 80)

    In dem, was ich «Auditory Seismology» nenne, geht es um eine Erfahrbarmachung des Seismischen, in der auch die Angst und der Schrecken, in der der Mensch und seine Emotionen einen Platz haben. Und es geht darum, eine Erde zu imaginieren, gegenüber der wir uns klein und unterlegen fühlen können. Es gibt beim Hören der seismischen Signale keinen Sweetspot, keinen archimedischen Punkt, jeder Ort, an dem wir uns auf dem Globus befinden, hat einen spezifischen Sound; und doch hört man überall alles – alles miteinander und überlagert. Eine unendliche Melodie, eine sonische Aktivität ohne Anfang und Ende.

    HR: Und der frühere Anfang?

    FD: Der frühere Anfang war 1980 und die Ausstellung «Für Augen und Ohren. Von der Spieluhr zum akustischen Environment», in der ich erstmals Klangkunst erlebte. David Tudors «Rainforest» war unglaublich, der «Handphone Table» von Laurie Anderson, Christina Kubischs «Moving Music», Harry Bertoias «Tonal Pieces», die man damals noch zupfen durfte. Es war meine erste Begegnung mit den «Intonarumori» von Luigi Russolo (auf die ich u.a. mit meinen allerersten Dracheninstrumenten der «Triple Instruments» von 2019 reagiert habe). Ich könnte lange schwärmen von dieser Ausstellung, und will nur noch drei Ereignisse aus dem Beiprogramm hervorheben: Es gab ein Konzertabend von Harry Partch auf dessen Originalinstrumenten, der mich regelrecht verfolgt. Ich hörte erstmals Conlon Nancarrow und seine Musik für automatisches Klavier. Und Tudor und Schnebel inszenierten «Rozart Mix» von John Cage für 12 Tonbandgeräte. Übrigens wurden seismische Bewegungen lange auf Tonbändern registriert. Another route not taken.

    • Florian Dombois, Triple Instruments, 2019 Photo: Florian AmoserFlorian Dombois, Triple Instruments, 2019 Photo: Florian Amoser
    • Florian Dombois, Triple Instruments, 2019Florian Dombois, Triple Instruments, 2019

    HR: Später in deinen Projekten „The Places of Danger“ entschiedst du dich, die Gefahrenzonen der ausstellenden Institutionen wie der Kunsthalle Bern (2006) doch auch als farblich markierte Grundrisse zu zeigen. Was steht dahinter?

    FD: Meine Untersuchungen und Erfahrungen mit der Erde als Klangkörper habe ich anfangs über Klanginstallationen öffentlich gemacht, in denen ich die seismischen Registrierungen in unterschiedlichen räumlichen Konstellationen abspielte. Ich baute einen begehbaren Hornlautsprecher oder 5-Kanal-Lautsprecher Aufstellungen, die mit der Raumakustik des Ausstellungsraums spielten.

    Und auf einmal, nach den ersten Ausstellungen fiel es mir –insbesondere durch ein Gespräch mit Volker Straebel 2004–, wie Schuppen von den Augen: Wenn dieselben Klänge in einer Ausstellung immer wiederholt werden, dann ist das wie in einer Geisterbahn und die Soundloops sind leblose Repräsentationen der Wirklichkeit. Diese Einsicht hat mir ziemlich zugesetzt, ich konnte es kaum mehr ertragen, in den Installationen rumzulaufen und zuzuhören. Es war alles viel zu sicher. Die Wirkung der donnernden Erdbeben kam mir vor wie das Gruseln im Vergnügungspark.

    Mit den «Places of Danger» begann ich, den Ausstellungsraum selbst als Gefahr freizulegen. Die Seismik ist nicht nur draussen, sie ist überall, in jedem Gebäude. Gerade auch in Bern, Basel und Köln, wo die «Places of Danger» je gezeigt wurden. Als sich manche Leute nicht mehr trauten, die Markierungen auf dem Boden zu übertreten, war ich künstlerisch beruhigt. Wir sind Teil der Welt, auch in der Kunst, auch im Museum, immer und überall.

    HR: Irgendwann ging dein Interesse von den Erdbeben zum Wind. Erinnerst Du dich daran, wann genau das war?

    FD: Ich war 2011 in Boston als Artist in Residence am MIT Massachusetts Institute of Technology. Ute Meta Bauer hatte mich gebeten, die MIT Kunstsammlung auf dem Campus anzuschlagen und eine neue Version der «Angeschlagenen Moderne» (2010 ff.) zu erstellen. Und dabei stiess ich auf den alten Wright Brothers Wind Tunnel von 1939. Ich entdeckte die Flow-Visualisierungen und ihr ästhetisches Potential. Und nach und nach fand ich immer mehr Material, anhand dessen man einen Einfluss der Windtunnel-Forschung auf die Kunst-Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts belegen kann.

    Als ich 2012 an der ZHdK meine Stelle antrat, wollte ich in einem Bereich künstlerisch Forschen, der nicht direkt mit meiner eigenen Ausstellungspraxis, also den seismischen Studien, verbunden war. Das hatte institutionskritische Gründe. Und ich dachte: «Wenn man den Wind in einen Raum lenken will, muss man nicht eine Tür aufmachen, sondern zwei – damit er auch wieder hinaus kann.» Mir war wichtig, weiter zum Thema Zeit arbeiten zu können. Der Wind ist wie die Seismik ein globales Phänomen, das keine nationalen Grenzen kennt. Die Atmosphäre ist durch unsere Umwelteinflüsse bedroht. D.h. der Wechsel aus dem Untergrund an den angrenzenden Luftraum war für mich künstlerisch plausibel, und gleichzeitig erlaubte er mir, mein Atelier aus der Hochschule fernzuhalten. Allerdings habe ich die Distanz nicht halten können (lacht…). Der Wind und das Fliessen von Wasser haben mich ganz in den Bann gezogen. Inzwischen empfinde ich den Wind als das ideale Medium für mich: aus künstlerischer, wissenschaftlicher und ökologischer Perspektive.

    HR: In den letzten 10 Jahren hast du dich mit dem Wind in mehreren Arbeiten und langzeit-Installationen auseinandergesetzt. Ein Wind Tunnel Modell steht seit geraumer Zeit auf dem Dach des Toni-Areals der ZHdK. Kannst Du über die Entstehung und den Bauprozess des Wind Tunnels erzählen? Wie wird er genutzt?

    FD: Meine Professur an der ZHdK heisst «Experimentalsysteme der Transdisziplinarität». Es geht um die materiellen und immateriellen Bedingungen, unter denen der transdisziplinäre Austausch gelingen kann. Nach fast zwanzig Jahren im Feld der Kunst & Wissenschaft war ich sicher, dass ich dafür eine Mitte brauchte, die leer ist. Wenn man Wissenschaftler:innen und Künstler:innen wirklich in Resonanz versetzen will, darf man kein Thema zwischen sie legen. Man muss etwas Unsichtbares zur Mitte machen, etwas, das schwer zu formulieren ist, etwas, das unsere gemeinsame Imagination erfordert. Die Testsektion im Windtunnel ist so eine leere Mitte.

    Mit meinem Stellenantritt habe ich den Windtunnel zu bauen begonnen. Ich habe einen Assistenten dafür angestellt, Studierende einbezogen. Wir haben dem Wind eine Form gegeben. Es ist eine Skulptur aus Wind. Wir hatten das Wetter und den natürlichen Wind bei uns, denn unser Bauplatz war erst in einem Hof und dann auf einem Dach. Wir haben sehr langsam gebaut. Es ging um einen kollektiven Bauprozess.

    Gleichzeitig zum Bau des Tunnels akquirierte ich künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsprojekte, finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds. Dank der Projekte konnte ich Stellen schaffen, u.a. für zwei künstlerische PhDs. Wir diskutierten über Modelle, Fragen der Skalierung, über die Bedeutung der Foto- und Filmkamera als Analyse- und Skalierungsapparat.

    Der Windtunnel ist mein Versuch, in der Hochschule einen wirklichen Ort für die Kunst zu kreieren, wo das möglich und denkbar wird, was unten im Toni-Areal zu oft unterdrückt wird. Der Tunnel ist ein Freiraum. Ein spiritueller Raum – wir hatten über die Jahre zwei Schamaninnen zu Besuch. Wir brennen Räucherstäbchen und Copal für unsere Windexperimente, was interessanterweise noch nie einen Rauchalarm ausgelöst hat. Das passiert immer nur mit der Theater-Nebelmaschine. Wenn die läuft, stoppt uns der Hausdienst oder die Feuerwehr.

    HR: Aber es sind eben nicht nur Schaman:innen, die dem Windtunnel etwas abgewinnen können, sondern auch Physiker:innen…

    FD: Ja, wir haben und hatten immer Gäste aus allen Disziplinen und noch jede:r hat im Wind etwas gefunden und uns geschenkt. Unser regelmässigster Gast ist Olivier Chazot, Professor und Direktor des Department Aeronautics/Aerospace am Von Karman Institut nahe Brüssel. Das ist das wichtigste Windtunnelinstitut in Europa, und sie haben über 60 verschiedene Windtunnel; aber keinen wie unseren. Olivier kommt jedes Jahr und wir lernen sehr viel voneinander, in beide Richtungen.

    • Wind Tunnel Festival, 2022Wind Tunnel Festival, 2022
    • Wind Tunnel Festival, 2023Wind Tunnel Festival, 2023

    HR: Im Jahr 2022 initiierten wir gemeinsam mit Berit Seidel und Dir das Wind Tunnel Festival. Was zunächst als ein einmaliges Event gedacht war, wird nun zum vierten Mal im Mai 2025 stattfinden. Wie würdest Du das Festival beschreiben? Was macht es für dich aus?

    FD: Ihr habt gesehen, dass das Windtunnel ein Potential für das Festival-Format hat. Auslöser war dieser eine Abend im Dezember, an dem wir im Windtunnel füreinander Musik spielten, die uns zum Weinen brachte. «Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht / Ob wir leben wollten oder lieber nicht [...] Wenn ich mir was wünschen dürfte / Käm' ich in Verlegenheit, / Was ich mir denn wünschen sollte, / Eine schlimme oder gute Zeit /Wenn ich mir was wünschen dürfte / Möchte ich etwas glücklich sein / Denn wenn ich gar zu glücklich wär' / Hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein.» (Friedrich Hollaender, 1931) An dem Abend, wir haben sehr geweint. Das war schön, das Gemeinsam-emotional-sein, das Sich-aufgehoben-fühlen, Vertrauen-haben und seine Verwundbarkeit zu zeigen. Das ist unsere Grundlage für das Festival, der Teppich auf dem wir stehen.

    Du fragst, was für mich das Festival ausmacht? Sicher die Gäste, das Publikum, unser Team, mit denen wir uns in einer Schwellensituation treffen: zwischen drinnen und draussen, zwischen einem Dachgarten und einer Betonterrasse, zwischen Garagentoren und Theatervorhängen, zwischen Himmel und Erde. Und wir sitzen auf und neben dem Windtunnel, durch den ganz leise der Wind streicht, immer im Kreis herum. Die Grenzen von Kunst und Wissenschaft sind unscharf. Wichtig ist für mich, dass wir nach jedem Input wieder nach draussen vor den Tunnel gehen und die Tore und Vorhänge öffnen. Wir müssen die akademischen Räume mit der Welt verbinden.

    Das Festival ist fliessend, wir beginnen einen Tag vorher und gehen nach den öffentlichen zwei Tagen gemeinsam in die Berge zum Drachenfliegen. Wir laden einzelne Gäste aus den Vorjahren ein, du nennst das «long-term relation». Wir haben Gäste, die das Format weitertragen, in andere Kontexte und andere Länder. Das ist vielleicht das grösste Kompliment für uns, ihr Enthusiasmus. Oder, was denkst du?

    HR: Ja, ich sehe das sehr ähnlich. Mich berührt vor allem, dass wir diesen Moment schaffen, in dem intellektueller Austausch gleichwertig und zeitgleich mit emotionaler Intimität einhergehen. Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse in den letzten Jahren ist es um so wertvoller, dass wir Räume und Momente des Zusammenseins, des kritischen Dialogs sowie des Trosts finden.

    Dein weiteres großes künstlerisches Forschungsprojekt ist das vom SNF geförderte «Triple Instruments. Through truth wind blows.» Könntest Du ausführen, was dahintersteht?

    FD: Wenn du eine:n Wissenschaftler:in fragst: «Was ist der Wind?», wird er / sie dir den Wind vermutlich erklären. Wenn du eine:n Künstler:in fragst: «Was ist der Wind?», wird er / sie dir den Wind vielleicht besingen. In dem SNF Projekt bringen wir den Wind zum Singen. Technisch geht das so, dass wir Drachen an langen Klaviersaiten fliegen, die am Boden in ein Saiteninstrument geschlauft werden. Ich nenne das «Triple Instruments», weil ihr Klang drei Akteure in den Dialog setzt: (i) den Wind im Drachen und dessen Summer, (ii) den Menschen am Bodeninstrument und (iii) die Saite dazwischen, die Seele des Instruments. Wir fahren jeden ersten Mittwoch im Monat immer an demselben Ort in den Schweizer Bergen. Ich nenne das «öffentliche Probe», weil man mit dem Wind keine Konzerte geben kann. Er weht oder weht nicht, wann und wie er will.

    Für mich sind diese Proben «wahrhafter» als jedes Konzert. Unsere Bühne ist die Wiese, das Tal. Es gibt keine Wände, jeder kann dazukommen. Wir sind mobil und doch ortsspezifisch. Das Fliegen der Klangdrachen ist eine spirituelle Erfahrung, alleine ebenso wie in der Gruppe. Anfang und Ende sind fliessend, ich verliere stets mein Zeitgefühl. Es fühlt sich heilend an. Manchmal denke ich, ob das wirklich meine Antwort auf die globalen Umweltkrisen ist. Und ich glaube, ja, das ist es. Der Untertitel «Durch die Wahrheit weht der Wind» ist ein Zitat aus den Upanischaden.

    HR: An der ZHdK hast du ein künstlerisches PhD-Programm aufgebaut. In 2022 kam noch das kollaborative Projekt „Laboratorio Laguna. PhD on Sail“ dazu, welches Du mit Biennale Urbana (Giulia Mazzorin, Andrea Curtoni) sowie U5 (Berit Seidel) gemeinsam gegründet hast. Was bedeutet das für dich, künstlerische Forschung in der Akademie zu etablieren und voranzutreiben?

    FD: Ich habe lange gezögert, mich für das künstlerische PhD zu engagieren, weil ich nach dem Kunst-Bachelor und -Master nochmal ein individuelles Arbeiten nicht sinnvoll finde. Künstlerische Forschung lebt für mich von der Zusammenarbeit und dem Austausch unter Kunstschaffenden, und das braucht Forschungsprojekte mit vielen Beteiligten. Zudem lieben Institutionen Titel; und wenn sie erstmal existieren, werden sie zum Argument. Es gibt inzwischen Länder, in denen Autodidakt:innen oder Studienabbrecher:innen nicht mehr Kunst-Professor:in werden können – eine Katastrophe. Darum habe ich mich für die Schweiz jahrelang gegen das Promovieren gewehrt, damit unsere Kunsthochschulen nicht auch diesen Fehler begehen.

    Und wie so oft im Widerstand, irgendwann lässt er sich nicht mehr halten, weil die Wirklichkeit überhandnimmt. Und so habe ich 2017 das Lager gewechselt. Ab dann fing ich unter dem Vorsatz an, dass unser Programm Nachwuchskünstler:innen zusammenbringt und sie zum Austausch im Sinne eines disziplinären «sharing & challenging» anleitet. Die Idee der «Wissensproduktion» habe ich aktiv ausgeschlos­sen. Ein künstlerisches PhD soll das Feld der Kunst weiterbringen, das ist mein Mantra. Und dafür entwickeln wir eigene Formate des Teilens, Formate des Forderns und Formate der Übergabe. Die Dissertation wird in Auseinander­setzung mit der künstlerischen Peer-Community bestimmt.Mit anderen Worten: ich versuche mit den PhD-Kandidierenden meine Praxis des kollektiven Arbeitens fortzusetzen. Seit mehreren Jahrzehnten stelle ich kollektive Settings durch Forschungsprojekte her. Die Anträge schreibe ich wie die Scores für ein mehrjähriges Happening oder ein Environment mit vielen Akteur:innen. Mein Ideal dabei ist, dass alle ihren Neigungen nachgehen können, und doch durch das Projekt etwas Neues und Überraschendes entsteht. Durch die Forschungsprojekte soll die Kunst nicht beschrieben oder verstanden, sondern hergestellt werden. Wenn man mit diesem geweiteten Blick die PhD-Ausbildung anschaut, dann kann man die universitären Prüfungsordnungen durchaus in einen künstlerischen Freiraum führen.

    Im «Laboratorio Laguna» kommen wir mit einem Dutzend Doktorierenden aus mehreren europäischen Kunsthochschulen zusammen. Venedig ist unsere Methode, nicht unser Thema. Wir fahren mit Segeljollen in die Lagune, wo wir das Balancieren einstudieren. Die ständige Tidenströmung begleitet uns ebenso wie der drehende Wind. In den zahlreichen Wellenmustern lernen wir, den wechselnden Untergrund zu erkennen. Wir sind eingebettet in eine historische Tiefe, wir begegnen einem pre-Renaissance Geo-engineering und einer Republik, die im ausgehenden Mittelalter in der Lage war, sich demokratisch für ein transgenerationales Projekt zur Rettung der Lagune zu entscheiden und durchzuführen: die Umleitung der Flüsse und ihrer Sedimente. Wir wohnen im «Bohemian Pavilion» ohne Einzelzimmer und ohne Klimaanlagen, wir kochen zusammen und arbeiten parallel. Es geht um eine Utopie des Zusammenlebens, in der die Kunst immer möglich ist. Ein alternativer Lebensentwurf angesichts der Klimakatastrophen wie Global Warming oder Sea Level Rise. Es hilft nichts, wir müssen die Katastrophe umarmen.

    HR: Wie siehst Du die Zukunft der künstlerischen Forschung? Was ist deine Vision? In 2006 hast du ein Manifest „Art as Research“ geschrieben, welches 10 Thesen umfasste. Sind sie noch aktuell? Würdest du sie erweitern?

    FD: Vor zwei Monaten habe ich «Hospicing Modernity» von Vanessa Machado de Olivera (2021) gelesen. Ich wünschte, ich hätte dieses Buch schon bei meiner Dissertation gehabt: Sie analysiert fantastisch genau die vielen Probleme des «House of Modernity» und wie sehr unser Denken davon durchdrungen ist. Und weil uns dieses Denken «precognitive» begleitet und bedingt, ist es «faster than thought». Alle unsere Ideen zur Lösung sind getränkt von den Methoden und Konzepten der «Modernity». Schon der Glaube, dass es eine Lösung gäbe, ist modern. Olivera sagt: Es braucht unsere gemeinsame Anstrengung, die todgeweihte Moderne in den kommenden Jahren bis zu ihrem Ende zu pflegen.

    Mir kommt bei deiner Frage nach meiner Vision für die künstlerische Forschung Altkanzler Helmut Schmidt in den Sinn: «Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie zum Arzt!» Und natürlich habe ich Visionen, das ist ja das schlimme. Ich glaube, dass wir z.B. den Individualismus in der Kunst überwinden müssen und die Wissenschaft z.B. vom tertium-non-datur befreien. Aber eben, das ist noch viel zu modern gedacht. Olivera sagt, wir brauchen 4Hs: humility, honesty, humor and hyper–self-reflexivity. Ich glaube, irgendwo dort ist wohl die Zukunft: Demut, Ehrlichkeit, Hyper-Selbstreflexion und Humor.

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