HR: Im Jahr 2022 initiierten wir gemeinsam mit Berit Seidel und Dir das Wind Tunnel Festival. Was zunächst als ein einmaliges Event gedacht war, wird nun zum vierten Mal im Mai 2025 stattfinden. Wie würdest Du das Festival beschreiben? Was macht es für dich aus?
FD: Ihr habt gesehen, dass das Windtunnel ein Potential für das Festival-Format hat. Auslöser war dieser eine Abend im Dezember, an dem wir im Windtunnel füreinander Musik spielten, die uns zum Weinen brachte. «Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht / Ob wir leben wollten oder lieber nicht [...] Wenn ich mir was wünschen dürfte / Käm' ich in Verlegenheit, / Was ich mir denn wünschen sollte, / Eine schlimme oder gute Zeit /Wenn ich mir was wünschen dürfte / Möchte ich etwas glücklich sein / Denn wenn ich gar zu glücklich wär' / Hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein.» (Friedrich Hollaender, 1931) An dem Abend, wir haben sehr geweint. Das war schön, das Gemeinsam-emotional-sein, das Sich-aufgehoben-fühlen, Vertrauen-haben und seine Verwundbarkeit zu zeigen. Das ist unsere Grundlage für das Festival, der Teppich auf dem wir stehen.
Du fragst, was für mich das Festival ausmacht? Sicher die Gäste, das Publikum, unser Team, mit denen wir uns in einer Schwellensituation treffen: zwischen drinnen und draussen, zwischen einem Dachgarten und einer Betonterrasse, zwischen Garagentoren und Theatervorhängen, zwischen Himmel und Erde. Und wir sitzen auf und neben dem Windtunnel, durch den ganz leise der Wind streicht, immer im Kreis herum. Die Grenzen von Kunst und Wissenschaft sind unscharf. Wichtig ist für mich, dass wir nach jedem Input wieder nach draussen vor den Tunnel gehen und die Tore und Vorhänge öffnen. Wir müssen die akademischen Räume mit der Welt verbinden.
Das Festival ist fliessend, wir beginnen einen Tag vorher und gehen nach den öffentlichen zwei Tagen gemeinsam in die Berge zum Drachenfliegen. Wir laden einzelne Gäste aus den Vorjahren ein, du nennst das «long-term relation». Wir haben Gäste, die das Format weitertragen, in andere Kontexte und andere Länder. Das ist vielleicht das grösste Kompliment für uns, ihr Enthusiasmus. Oder, was denkst du?
HR: Ja, ich sehe das sehr ähnlich. Mich berührt vor allem, dass wir diesen Moment schaffen, in dem intellektueller Austausch gleichwertig und zeitgleich mit emotionaler Intimität einhergehen. Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse in den letzten Jahren ist es um so wertvoller, dass wir Räume und Momente des Zusammenseins, des kritischen Dialogs sowie des Trosts finden.
Dein weiteres großes künstlerisches Forschungsprojekt ist das vom SNF geförderte «Triple Instruments. Through truth wind blows.» Könntest Du ausführen, was dahintersteht?
FD: Wenn du eine:n Wissenschaftler:in fragst: «Was ist der Wind?», wird er / sie dir den Wind vermutlich erklären. Wenn du eine:n Künstler:in fragst: «Was ist der Wind?», wird er / sie dir den Wind vielleicht besingen. In dem SNF Projekt bringen wir den Wind zum Singen. Technisch geht das so, dass wir Drachen an langen Klaviersaiten fliegen, die am Boden in ein Saiteninstrument geschlauft werden. Ich nenne das «Triple Instruments», weil ihr Klang drei Akteure in den Dialog setzt: (i) den Wind im Drachen und dessen Summer, (ii) den Menschen am Bodeninstrument und (iii) die Saite dazwischen, die Seele des Instruments. Wir fahren jeden ersten Mittwoch im Monat immer an demselben Ort in den Schweizer Bergen. Ich nenne das «öffentliche Probe», weil man mit dem Wind keine Konzerte geben kann. Er weht oder weht nicht, wann und wie er will.
Für mich sind diese Proben «wahrhafter» als jedes Konzert. Unsere Bühne ist die Wiese, das Tal. Es gibt keine Wände, jeder kann dazukommen. Wir sind mobil und doch ortsspezifisch. Das Fliegen der Klangdrachen ist eine spirituelle Erfahrung, alleine ebenso wie in der Gruppe. Anfang und Ende sind fliessend, ich verliere stets mein Zeitgefühl. Es fühlt sich heilend an. Manchmal denke ich, ob das wirklich meine Antwort auf die globalen Umweltkrisen ist. Und ich glaube, ja, das ist es. Der Untertitel «Durch die Wahrheit weht der Wind» ist ein Zitat aus den Upanischaden.
HR: An der ZHdK hast du ein künstlerisches PhD-Programm aufgebaut. In 2022 kam noch das kollaborative Projekt „Laboratorio Laguna. PhD on Sail“ dazu, welches Du mit Biennale Urbana (Giulia Mazzorin, Andrea Curtoni) sowie U5 (Berit Seidel) gemeinsam gegründet hast. Was bedeutet das für dich, künstlerische Forschung in der Akademie zu etablieren und voranzutreiben?
FD: Ich habe lange gezögert, mich für das künstlerische PhD zu engagieren, weil ich nach dem Kunst-Bachelor und -Master nochmal ein individuelles Arbeiten nicht sinnvoll finde. Künstlerische Forschung lebt für mich von der Zusammenarbeit und dem Austausch unter Kunstschaffenden, und das braucht Forschungsprojekte mit vielen Beteiligten. Zudem lieben Institutionen Titel; und wenn sie erstmal existieren, werden sie zum Argument. Es gibt inzwischen Länder, in denen Autodidakt:innen oder Studienabbrecher:innen nicht mehr Kunst-Professor:in werden können – eine Katastrophe. Darum habe ich mich für die Schweiz jahrelang gegen das Promovieren gewehrt, damit unsere Kunsthochschulen nicht auch diesen Fehler begehen.
Und wie so oft im Widerstand, irgendwann lässt er sich nicht mehr halten, weil die Wirklichkeit überhandnimmt. Und so habe ich 2017 das Lager gewechselt. Ab dann fing ich unter dem Vorsatz an, dass unser Programm Nachwuchskünstler:innen zusammenbringt und sie zum Austausch im Sinne eines disziplinären «sharing & challenging» anleitet. Die Idee der «Wissensproduktion» habe ich aktiv ausgeschlossen. Ein künstlerisches PhD soll das Feld der Kunst weiterbringen, das ist mein Mantra. Und dafür entwickeln wir eigene Formate des Teilens, Formate des Forderns und Formate der Übergabe. Die Dissertation wird in Auseinandersetzung mit der künstlerischen Peer-Community bestimmt.Mit anderen Worten: ich versuche mit den PhD-Kandidierenden meine Praxis des kollektiven Arbeitens fortzusetzen. Seit mehreren Jahrzehnten stelle ich kollektive Settings durch Forschungsprojekte her. Die Anträge schreibe ich wie die Scores für ein mehrjähriges Happening oder ein Environment mit vielen Akteur:innen. Mein Ideal dabei ist, dass alle ihren Neigungen nachgehen können, und doch durch das Projekt etwas Neues und Überraschendes entsteht. Durch die Forschungsprojekte soll die Kunst nicht beschrieben oder verstanden, sondern hergestellt werden. Wenn man mit diesem geweiteten Blick die PhD-Ausbildung anschaut, dann kann man die universitären Prüfungsordnungen durchaus in einen künstlerischen Freiraum führen.
Im «Laboratorio Laguna» kommen wir mit einem Dutzend Doktorierenden aus mehreren europäischen Kunsthochschulen zusammen. Venedig ist unsere Methode, nicht unser Thema. Wir fahren mit Segeljollen in die Lagune, wo wir das Balancieren einstudieren. Die ständige Tidenströmung begleitet uns ebenso wie der drehende Wind. In den zahlreichen Wellenmustern lernen wir, den wechselnden Untergrund zu erkennen. Wir sind eingebettet in eine historische Tiefe, wir begegnen einem pre-Renaissance Geo-engineering und einer Republik, die im ausgehenden Mittelalter in der Lage war, sich demokratisch für ein transgenerationales Projekt zur Rettung der Lagune zu entscheiden und durchzuführen: die Umleitung der Flüsse und ihrer Sedimente. Wir wohnen im «Bohemian Pavilion» ohne Einzelzimmer und ohne Klimaanlagen, wir kochen zusammen und arbeiten parallel. Es geht um eine Utopie des Zusammenlebens, in der die Kunst immer möglich ist. Ein alternativer Lebensentwurf angesichts der Klimakatastrophen wie Global Warming oder Sea Level Rise. Es hilft nichts, wir müssen die Katastrophe umarmen.
HR: Wie siehst Du die Zukunft der künstlerischen Forschung? Was ist deine Vision? In 2006 hast du ein Manifest „Art as Research“ geschrieben, welches 10 Thesen umfasste. Sind sie noch aktuell? Würdest du sie erweitern?
FD: Vor zwei Monaten habe ich «Hospicing Modernity» von Vanessa Machado de Olivera (2021) gelesen. Ich wünschte, ich hätte dieses Buch schon bei meiner Dissertation gehabt: Sie analysiert fantastisch genau die vielen Probleme des «House of Modernity» und wie sehr unser Denken davon durchdrungen ist. Und weil uns dieses Denken «precognitive» begleitet und bedingt, ist es «faster than thought». Alle unsere Ideen zur Lösung sind getränkt von den Methoden und Konzepten der «Modernity». Schon der Glaube, dass es eine Lösung gäbe, ist modern. Olivera sagt: Es braucht unsere gemeinsame Anstrengung, die todgeweihte Moderne in den kommenden Jahren bis zu ihrem Ende zu pflegen.
Mir kommt bei deiner Frage nach meiner Vision für die künstlerische Forschung Altkanzler Helmut Schmidt in den Sinn: «Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie zum Arzt!» Und natürlich habe ich Visionen, das ist ja das schlimme. Ich glaube, dass wir z.B. den Individualismus in der Kunst überwinden müssen und die Wissenschaft z.B. vom tertium-non-datur befreien. Aber eben, das ist noch viel zu modern gedacht. Olivera sagt, wir brauchen 4Hs: humility, honesty, humor and hyper–self-reflexivity. Ich glaube, irgendwo dort ist wohl die Zukunft: Demut, Ehrlichkeit, Hyper-Selbstreflexion und Humor.