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Es blitzt und donnert, der Regen peitscht uฬbers Deck. Die ยซFlying Dutchmanยป bahnt sich ihren Weg durch die gefaฬhrlichen Wellen. Davy Jones, Kapitaฬn des Piratenschiffs, feuert seine Crew an. Dann zieht er sich in seine Kajuฬte zuruฬck. Und spielt Orgel. Eine meterhohe, Rauch speiende, korallenbewachsene Orgel. Diese Szene spielt im Hollywood-Blockbuster ยซFluch der Karibik 2ยป. Das sakrale Instrument hat es aus den Kirchen in die Kinosaฬle geschafft.
Eigentlich duฬrfte es nicht verwundern, dass die Populaฬrkultur Gefallen an der Orgel findet. Schliesslich vereint kein Instrument so viele Superlative wie sie. Jede Orgel ist einzigartig. Einige sind so klein wie ein Klavier, andere wiederum so hoch wie ein zweistoฬckiges Haus. Die groฬsste spielbare Orgel steht in einem Kaufhaus in Philadelphia, mit rund 28โ500 Pfeifen auf sieben Stockwerke verteilt. Und kein Instrument schmettert seine Toฬne lauter als die Orgel. Den Guinness-Weltrekord als lautestes jemals gebautes Musikinstrument haฬlt eine Orgel in Suฬdkorea mit 138,4 Dezibel. Das entspricht in etwa dem Laฬrmpegel eines startenden Flugzeugs.
Eine Orgel steht nie einfach irgendwo. Ihrem Spitznamen ยซKoฬniginยป gebuฬhrend, wird ihr immer ein spezieller Ort zugewiesen. Traditionellerweise die Kirchenempore. Auch die ZHdK hat ihrer Orgel einen eigenen Raum gewidmet, er ist eine der Hauptattraktionen des Toni-Areals. Mit seinen schwarzen Waฬnden und Lichtreflexionen ist der Orgelsaal eine mystische Oase mitten im turbulenten Studienalltag.
Klรคnge mischen und wรผrzen
Orgeldozent Tobias Willi ist seinem Instrument seit uฬber 30 Jahren treu. ยซMit einer Orgel hat man ein ganzes Orchester unter zwei Haฬnden und zwei Fuฬssen.ยป Klaฬnge mischen, Klangfarben anderer Instrumente imitieren, bis zu acht Oktaven bespielen โ alles kein Problem fuฬr die Koฬnigin. ยซDas ist wie in der Kuฬche vor dem Gewuฬrzregal: Orgelspieler koฬnnen nach Lust und Laune kombinierenยป, sagt Willi.
Heutzutage wird die Orgel haฬufig sehr klischeehaft dargestellt. Davy Jones ist nicht der einzige Seemann, der orgelspielend die Weltmeere befaฬhrt. Als Vorlage diente Kapitaฬn Nemo von Jules Verne, der in seinem Unterseebot ยซNautilusยป die Orgel erklingen laฬsst. Andere unheimliche Organisten sind das Phantom der Oper oder der mordende Dr. Phibes in seinem ยซSchreckenskabinettยป. Ein weiteres Beispiel: Im Comic ยซYoko Tsuno et lโorgue du diableยป aus dem Jahr 1972 dient eine riesige Orgel als Folterinstrument mit toฬdlich tiefen Frequenzen. Das Lieblingsinstrument raublustiger Piraten, kaltbluฬtiger Moฬrder und sogar eine Foltermaschine โ wieso ist die Orgel oft so duฬster konnotiert? Tobias Willi erklaฬrt schmunzelnd: ยซOrganistinnen und Organisten werden in der Populaฬrkultur oft als neurotische bis psychopathische Einzelgaฬnger dargestellt.ยป Die Orgel spiele man meist alleine, trotz ihrer imposanten Gestalt. ยซDas befeuert sicherlich das Bild des groฬssenwahnsinnigen Organisten, der eine Kathedrale erzittern lassen kann.ยป
Die Orgel erobert neue Sphรคren
ยซImmer weniger Menschen besuchen regelmaฬssig einen Gottesdienst. Die Orgel ist vielen nicht mehr vertrautยป, sagt Willi. Darin sieht er aber auch Vorteile: ยซWir haben dadurch Carte blanche, die Freiheit, auch Unerwartetes auszuprobieren.ยป Und davon machen die Organistinnen und Organisten regen Gebrauch. Orgel trifft modernes Ballett, Orgel trifft Saxofon, Orgel trifft Lyrik โฆ Die Liste solch neuer Konstellationen wird immer laฬnger. Denn diese ungewoฬhnlichen Paarungen kommen beim Publikum sehr gut an. Tobias Willi erlebt das jeweils, wenn er zu Stummfilmen live auf der Orgel improvisiert. ยซDann merken die Leute, die Orgel macht nicht nur โ wie mir einmal gesagt wurde โ im Gottesdienst Krach, sondern es gibt tausend zarte Abstufungen.ยป Bei seiner laฬngsten Vorfuฬhrung spielte er zweieinhalb Stunden durch: ยซDas war ein โChrampfโ. Aber als Organist kann man Emotionen auf eine ganz neue Ebene bringen.ยป