Frederike Maas
Die Dissertation untersucht den frühen Rundfunk als Experimentierfeld für die Gestaltung neuer Formen mediatisierter Kommunikation und technologisch vermittelter Verbindung. Im Zentrum steht die Frankfurter Rundfunkstation Südwestdeutscher Rundfunk, die unter der künstlerischen Leitung von Ernst Schoen zwischen 1929 und 1933 zu einem bedeutenden Zentrum avantgardistischer Medienpraxis in der Weimarer Republik wurde. Schoen gewann unter anderem Walter Benjamin und Bertolt Brecht für die Arbeit im Rundfunk, und gemeinsam verfolgten sie das Ziel, das Radio, wie Brecht es formulierte, von einem „Distributionsapparat“ in einen „Kommunikationsapparat“ zu verwandeln. Anstatt die unidirektionale Logik des Rundfunks hinzunehmen, experimentierte man in Frankfurt mit neuen Formaten, Infrastrukturen und ästhetischen Mitteln, die wechselseitige Ansprache und aktive Beteiligung der Zuhörer_innen ermöglichen sollten.
Die Untersuchung versteht „Radio“ hierbei nicht als ein isolierbares Medium, sondern als multimediales Ensemble: ein Gefüge aus Lautsprechern, Stimmen, Magazinen, Postnetzwerken, Publikumsreaktionen, Sendegebäuden und verkörperten Praktiken des Empfangs. Auf Grundlage vielfältiger Archivmaterialien, darunter Programmskripte, Fotografien und Radiomagazine wie die Südwestdeutsche Rundfunkzeitung, zeigt die Dissertation, wie Inhalte und Formate über Mediengrenzen hinweg zirkulierten und neue Formen medial vermittelter Kommunikationsräume entstanden.
Ausgehend von diesem historischen Fall stellt die Arbeit die grundsätzliche Frage, wie es möglich wird, durch technische Medien in Beziehung zu treten. In Anschluss an aktuelle medienphilosophische Positionen argumentiert sie, dass Technologien nicht nur Botschaften übertragen, sondern Beziehungsweisen ermöglichen und so die Rahmenbedingungen sozialen Zusammenlebens prägen. So wird deutlich, wie die utopischen und spekulativen Visionen, die im Umfeld des Frankfurter Senders entstanden, bis heute Vorstellungen von vernetzter Kommunikation und virtueller Gemeinschaft prägen und zugleich kritisch herausfordern. Die Dissertation leistet einen Beitrag zur Mediengeschichte und -philosophie, indem sie frühe Radiopraktiken als Vorläufer heutiger multi-medialer und partizipativer Kommunikationsformen sichtbar macht.