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    Mehr zu: Historische Aufführungspraxis

    Jahresthema

    Caspar David Friedrich – Die deutsche Romantik

    • Fokus im Herbstsemester: «Über allen Gipfeln ist Ruh’» – Aufbruch in die Romantik
    • Fokus im Frühlingssemester: «Im Rhein, im heiligen Strome» – Rückzug in den Biedermeier

    «Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding» lässt Hugo von Hofmannsthal die Marschallin im Libretto zu Richard Strauss’ Rosenkavalier sagen. Dem wird wohl jeder spontan zustimmen können – nicht nur nach durchzechter Liebesnacht mit einem jugendlichen Liebhaber.

    Aber auch wenn man gerade nicht wie die Marschallin über die Vergänglichkeit des eigenen Lebens sinniert, hat dieser Satz eine für viele Bereiche gültige Bedeutung.

    In der Historischen Aufführungspraxis ist er eigentlich permanent mitzubedenken, da gerade hier der Umgang mit der Vergangenheit allgegenwärtig ist. Man sei sich dessen bewusst, oder nicht. Betrachtet man etwa den Fall des Rosenkavaliers näher, so wird die Bedeutung dieses Satzes für die Aufführungspraxis unter einem ganz anderen Aspekt deutlich: obwohl unsere Grosseltern noch zu Lebzeiten des Komponisten geboren wurden, sind sowohl Libretto als auch Musik der Epoche der Romantik zuzuordnen. In Anlehnung an Goethes «Erinnerung» gesagt: so nah und doch so fern!

    Wenn man den Gedanken weiterspinnt, dann beginnt jene Epoche, in der unsere Grosseltern geboren wurden, spätestens um die Wende zum 19.Jahrhundert (wenn nicht, viel früher!), womit die Distanz noch erheblich grösser wird. Das zeigt auch, dass die sogenannte Romantik, ähnlich dem Barock, eine ausgesprochen lange Epoche in der Geschichtsschreibung ist. Die Klassik ist damit verglichen nicht mehr als ein Wimpernschlag in der neueren Geschichte! Man kann sogar konstatieren, dass mancherorts, je nach Betrachtungswinkel, das Barock direkt in die Romantik übergeht!

    Damit wird auch deutlich, dass sich hinter dem Begriff viele unterschiedliche, wenn nicht gar kontrastierende Strömungen und Entwicklungen vereinen. Nicht umsonst hat die Epoche viele weitere Unterbezeichnungen: Biedermeier, Expressionismus, Vormärz, Impressionismus, Früh-, Hoch-, Spätromantik…

    Schon ein flüchtiger Blick auf die deutsche Geschichte zeigt, wie bewegt und unterschiedlich diese unter nur einem Wort vereinte Epoche war: napoleonische Kriege, Wiener Kongress, deutsche Revolution, Entstehung des Kaiserreiches, deutsch-französischer Krieg, die beiden Weltkriege… Wenige Jahrhunderte haben vielleicht derart zahlreiche, umwälzende Veränderungen in so wenig Zeit erlebt, wie es in der Romantik der Fall war. Deutlich wird bei diesem Gedanken nicht nur, wie vielgesichtig das Jahrhundert war, sondern eben auch, wie schwierig dadurch das historische Verständnis dieser Epoche ist. Sie ist eben nicht nur «lange her», sondern auch äusserst divergent.

    Vielleicht ist es aber auch gerade diese Komplexität der Gegensätze, die die Romantik ausmacht und uns dadurch Rätsel aufgibt. Erschwerend kommt hinzu, dass die zahlreichen politischen Repressionen die Künstler häufig zu einer verschlüsselten Sprache nötigten, die die Rätsel für einen modernen, in einer gänzlich anderen Gesellschaft lebenden Menschen unlösbar erscheinen lassen.

    Am Beispiel des Malers Caspar David Friedrich, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, wird das rätselhafte der Romantik besonders deutlich. Nach seinem Tod im Jahr 1840 schnell vergessen, erlebte Friedrichs Kunst zu Beginn des 20.Jahrhunderts eine bis heute andauernde Renaissance und ungebrochene Begeisterung. Die diesjährige Hamburger Jubiläumsausstellung zu des Meisters Ehren hat das auf eindrückliche Weise belegt. Seine Gemälde gelten wohl völlig zu Recht als Inbegriff und Beginn romantischer Malerei. Gleichzeitig weisen sie über die reine Malerei hinaus und scheinen den Begriff der Romantik auch per se zu verkörpern. Es gehört nicht allzu viel Fantasie dazu, etwa Schuberts Musik mit Friedrichs Gemälden zu assoziieren. Oder doch eher Schumann? Brahms? Hofmannsthal?...

    Einer der faszinierendsten Aspekte bei der Rezeption von Friedrichs Kunst, ist der bis heute andauernde Streit um deren Interpretation. Handelt es sich um politische Kunst? Religiöse? Oder doch eher die bildgewordene Interpretation der Theorie des Erhabenen eines Kant oder Schiller? Geht es um die Mystik der Geometrie? Oder ist es doch «einfach nur» Landschaftsmalerei? Wir wissen es nicht! Und wahrscheinlich nicht nur, weil uns mehr als 200 Jahre von seiner Kunst trennen und wir eben gänzlich andere Menschen, in einer gänzlich anderen Welt als der Maler und seine Zeitgenossen sind, sondern vielleicht einfach deshalb, weil das Rätselhafte, Geheimnisvolle, Undefinierbare ein besonderes Kennzeichen, nicht nur von Caspar David Friedrich, aber der gesamten Epoche der Romantik ist. Eine «Stimme aus der Ferne» will eben nicht fassbar sein.

    Vielleicht spiegelt sich aber in Friedrichs Malerei auch einfach nur das, was grosse Kunst eben ausmacht: sie gibt ihr letztes Geheimnis nicht preis.

    Im Studienjahr 2024/25 wollen wir zumindest versuchen, uns diesem Rätsel anzunähern. Über die Kunst Friedrichs wollen wir der romantischen Epoche nicht nur gedanklich, sondern auch in der musikalischen Praxis näherkommen und den von vorherein unmöglichem Versuch unternehmen, die zeitliche Diskrepanz zu unseren Gross- und Urgrosseltern zu überwinden.

    Die vielleicht wichtigste Erkenntnis der Historischen Aufführungspraxis ist dabei die immergleiche, die nicht nur für die Romantik gilt und von Hofmannsthal so wunderbar prägnant ausgesprochen wurde: «Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.»

    Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer (PD)
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    Bisherige Jahresthemen

    2014/15: «Versuch über die wahre Art» – Carl Philipp Emanuel Bach und seine Zeit
    2015/16: Louis XIV
    2016/17: 500 Jahre Reformation: Sprache und Musik
    2017/18: «Sapere aude!» – Deutschland und die Aufklärung
    2018/19: Wege in die Romantik
    2019/20: Napoleon Bonaparte (1769–1821)
    2021/22: Rule Britannia! – Grossbritannien im 18. Jahrhundert
    2022/23: La comédie humaine – Molière!
    2023/24: Sturm und Drang